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Literatur zur neuen Generation von Islamisten

Die Generation der Gotteskrieger

Feature

Meldungen über die Umtriebe der neuen Dschihadisten-Generation aus dem Nahen Osten, aber auch aus Europa, sind an der Tagesordnung. Doch immer mehr Analysten widmen sich nun den Hintergründen, wir stellen zwei der jüngsten Studien vor.

Spätestens seit dem Vormarsch des »Islamischen Staats« (IS) und der anschließenden Ausrufung eines Kalifats im Juni 2014 haben Bücher zum Thema Dschihadismus Hochkonjunktur. Schon wenige Monate danach erschien das erste Buch zum Thema: »Islamischer Staat: IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden« von Behnam Said. Was aufgrund der Kürze der Zeit zunächst einen Schnellschuss vermuten lässt, entpuppt sich beim Lesen als gut und sauber recherchiertes Buch – allerdings geht es darin nur teilweise um IS: Im Kern hat Said ein Syrien-Buch geschrieben.

 

Im Vorwort erläutert der Autor sein Anliegen: die geschichtlichen Zusammenhänge der dschihadistischen Bewegung in Syrien, die aktuellen Ereignisse im Irak und in Syrien sowie die Verbindungen nach Deutschland und Europa verständlich zu machen. Der Titel des Buches führt somit ein wenig in die Irre. Dieser Umstand dürfte jedoch kaum dem Autor anzulasten, sondern eher dem Wunsch des Verlags geschuldet sein, möglichst frühzeitig ein Buch zum Thema auf den Markt zu werfen.

 

Dem Fokus des Buches entsprechend, rollt Said zunächst ausführlich die Vorgeschichte der heutigen Dschihadisten-Bewegung in Syrien auf, die bis in die 1960er Jahre zurückreicht. Anschließend zeichnet er die aktuellen Ereignisse im Irak und in Syrien nach, um schließlich die Aktivitäten deutscher Dschihadisten in der Region darzustellen. Ergänzt werden diese Ausführungen durch ein Kapitel über die geopolitischen Interessen, die hinter dem Krieg um Syrien stehen.

 


Islamischer Staat

IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden

Behnam Said

C.H. Beck, 2014

239 Seiten, 14,95 Euro


 

Besonders interessant ist das Kapitel über die deutschen Dschihadisten in Irak und Syrien; hier kann der Autor – hauptberuflich tätig als Islamwissenschaftler beim Hamburger Verfassungsschutz – seine Kompetenz und fachliche Nähe ausspielen. Said resümiert, dass der Krieg in Syrien vielen Deutschen fern erscheinen möge, und doch werde er Teile einer Generation in Deutschland prägen: »Für einen Teil der Jugendlichen in Europa könnte der syrische Bürgerkrieg ähnlich bedeutend und prägend werden, wie es der Spanische Bürgerkrieg für manche linksorientierten jungen Menschen in den 1930er Jahren war.«

 

Den geopolitischen Ausblick hätte man sich des Fokus des Buches wegen schenken können, aber das mag auch eine Frage des Geschmacks sein. Ansonsten gibt es nur wenig zu kritisieren. Das Buch ist sorgfältig recherchiert. Insbesondere den ersten Kapiteln über die Geschichte des Dschihads in Syrien und die wachsende Bedeutung der Dschihadisten im Syrien-Krieg ist anzumerken, dass der Autor viel Zeit in die Recherche investiert hat. Aber auch die Darstellung des chaotischen Kriegsgeschehens ist klar und verständlich.

 

Besonders erfreulich ist die Verwendung zahlreicher arabischer Originalquellen; dies ist beileibe nicht selbstverständlich. Hier und da behindern die zahllosen Details jedoch etwas den Lesefluss, ein wenig mehr Straffung hätte dem Buch gutgetan. Dennoch bleibt das Werk gut lesbar. Interessant ist es aufgrund der hohen Detaildichte vor allem für Fachleute, die ein verlässliches Nachschlagewerk zum Krieg in Syrien und der Rolle der Dschihadisten in der Region suchen.

 

Eine Geschichte des deutschen Dschihadismus

 

Der Islamische Staat und die Aktivitäten deutscher Dschihadisten in Irak und Syrien spielen zwar ebenfalls eine Rolle, doch ansonsten hat »Al-Qaidas deutsche Kämpfer« einen anderen Schwerpunkt: Guido Steinberg, Islamwissenschaftler, Terrorismusexperte und Mitarbeiter der Stiftung Sicherheit und Politik (SWP) in Berlin, liefert mit seinem neuen Buch eine Historie des deutschen Dschihadismus. Ausführlich und ungeheuer kenntnisreich beschreibt er Entstehung, Entwicklung und Aktivitäten der Dschihadisten-Szene in Deutschland und legt dar, welche Rolle und Bedeutung Kämpfer aus Deutschland in der internationalen dschihadistischen Bewegung haben.

 

Der Bogen reicht dabei von der Hamburger Zelle um Mohammed Atta, den Piloten des American-Airline-Fluges 11 am 11. September 2001, über die Sauerland-Gruppe und die erste genuin deutsche Dschihadisten-Gruppe, die »Deutschen Taliban Mudschahidin« im pakistanischen Waziristan, bis hin zu den Aktivitäten deutscher Dschihadisten im Irak und in Syrien. Steinberg beschreibt nüchtern die Lebenswege der Protagonisten und ihre oftmals rätselhafte Wandlung zu Dschihadisten, die sie in vielen Fällen auf fernen Schlachtfeldern in Pakistan, Somalia oder Syrien als Selbstmordattentäter oder in sonstigen Scharmützeln ihr Ende finden lässt.

 

Dem Buch kommt dabei zugute, dass der Autor in einigen Gerichtsprozessen gegen die im Buch behandelten Dschihadisten als Gutachter tätig war und daher tiefe Einblicke in die Fälle hat; hier und da reichern Schilderungen aus diesen Prozessen die Analyse an.

 


Al-Qaidas deutsche Kämpfer

Die Globalisierung des islamistischen Terrorismus

Guido Steinberg

Edition Körber, 2014

464 Seiten, 18 Euro

 

Wie gewohnt spart Steinberg nicht mit Kritik an den deutschen Sicherheitsbehörden, die er für zu schwach hält, um eigenständig für die Sicherheit der Bundesrepublik zu sorgen: »Deutschland braucht […] sehr viel stärkere Sicherheitsbehörden und vor allem Nachrichtendienste, um die terroristischen Gefahren der nächsten Jahre abzuwehren. So müsse beispielsweise die salafistische Szene in Deutschland weitaus aggressiver aufgeklärt werden als bisher, die nachrichtendienstliche Arbeit im Nahen Osten stark verbessert und auch die Probleme bei der Nachrichtengewinnung für die deutschen Truppen im Ausland behoben werden.« Trotz einer ungeheuren Vielzahl von Details bleibt das Buch leicht und gut lesbar. Steinberg hat damit ein Standardwerk über den deutschen Dschihadismus vorgelegt. Eine beachtliche Leistung.

Von: 
Florian Peil

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