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Muhammadu Buhari ist neuer Präsident in Nigeria

Der Disziplinator

Analyse

Ex-Militärmachthaber Muhammadu Buhari gibt sich nach seinem Sieg als geläuterter Demokrat und gelobt, die Fehler von Vorgänger Jonathan zu vermeiden. Immerhin: Wahlverlauf und Machtwechsel sind ein Meilenstein für Nigerias Demokratie.

Die Geschichte liest sich wie ein mittelmäßiger Hollywood-Politthriller: Am 5. Juli 1984 wird Umaru Dikko, Transportminister Nigerias unter Präsident Shehu Shagari, am helllichten Tage auf den Straßen Londons entführt. Der Exil-Nigerianer, der in seinem Heimatland berühmt dafür geworden war, dass er sich während seiner Amtszeit in ganz besonders dreister Weise persönlich finanziell bereichert hatte, wird von Agenten des Mossad und des nigerianischen Geheimdienstes in einen gelben Minibus gezerrt.

 

Seine Entführer legen ihm Handschellen an und ein eigens angeheuerter Anästhesist, Dr. Shapiro, verabreicht ihm ein Narkosemittel. Dikko verliert das Bewusstsein. Dann »verpacken« die Kidnapper den leblosen Dikko in einer Transportkiste mit der Aufschrift »Eigentum Nigerias«, zusammen mit Shapiro, der während des Flug nach Nigeria bei Bedarf weitere Narkosespritzen verpassen und sicherstellen soll, dass die narkotisierte »Beute« nicht an ihrem Erbrochenen erstickt.

 

Erst am Flughafen Stansted, kurz bevor die Kiste in ein Flugzeug der Nigerian Airways verfrachtet und ausgeflogen werden soll, endet Dikkos Odyssee. Seine Sekretärin hatte durch ein Fenster die Entführung auf offener Straße beobachtet und die Polizei verständigt. Zollbeamte öffnen die Kiste, die als Diplomatengepäck deklariert war, und stoßen auf die menschliche Fracht. Dikko wird in ein Krankenhaus gebracht und überlebt.

 

Der vorsichtig formuliert als »ungewöhnlich« zu bezeichnende Versuch, einen geflohenen Politiker zur Rechenschaft zu ziehen, ging als Dikko-Affäre in die Geschichte ein. Was lediglich hatte bewirken sollen, dass ein korrupter Politiker der Prozess auf nigerianischem Boden gemacht werden konnte, endete als tiefes diplomatisches Zerwürfnis zwischen Großbritannien und Nigeria.

 

Der Mann, der wohl den Auftrag zu diesem kaltschnäuzigen Manöver gegeben und den Zorn der ehemaligen Kolonialmacht wissentlich in Kauf zu nehmen bereit war, nur um Versprechen von Disziplin und Tugendhaftigkeit Taten folgen zu lassen war Muhammadu Buhari – mittlerweile frisch gewählter Präsident Nigerias, der im Mai 2015 bereits zum zweiten Mal die Verantwortung für Nigerias Staatsgeschicke in die Hände gelegt bekommen wird.

 

Buhari hat die gesamte unabhängige Geschichte des westafrikanischen Landes an vorderster Front miterlebt. Im Jahr 1942 wurde er in Daura in Nordnigeria als letztes und eines von insgesamt 39 Geschwistern und Halbgeschwistern geboren. Als Spross einer Familie, die ihre militärischen Dienste für eines der historischen Haussa-Königshäuser bis in vorkolonialer Zeit zurückverfolgen kann, war Muhammadu Buhari eine militärische Laufbahn praktisch in die Wiege gelegt.

 

Im Anschluss an seine schulische Ausbildung verpflichtete er sich im Jahr 1961 in der nigerianischen Armee. Rasch kletterte er die militärische Stufenleiter empor und kämpfte auch während des nigerianischen Bürgerkrieges (1967-70), der bis heute noch schmerzvoll im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Weitere Karrieresprünge endeten schließlich in seiner militärischen Machtergreifung im Jahr 1984, die eine ob ihrer Korruption und Unfähigkeit unliebsame Zivilregierung unter Shehu Shagari des Amtes enthob.

 

Ein Militär, durch und durch

 

Rückblickend wird deutlich, dass Buhari während seiner Amtszeit im Grunde genommen der Vollblut-Soldat blieb, zu dem man ihn ausgebildet hatte. So war sein politischer Ansatz vor allem durch den Anspruch geprägt, auch das Funktionieren des Staates mit militärischer Tugendhaftigkeit zügeln und in die rechte Bahn zurückzulenken zu wollen. Vermeintlich korrupten Politikern des gestürzten Regimes ließ Buhari unerbittlich den Prozess machen.

 

Viele von ihnen wurden zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Für vergleichsweise »kleinere« Vergehen wie die Manipulation von Öl-Pipelines oder das Schmuggeln von Drogen ließ er die Todesstrafe verhängen. Vor allem das Schlagwort der »Disziplin« taucht immer wieder in Buharis Ansprachen jener Zeit auf. Dies ging sogar so weit, dass er eine politische Kampagne mit dem bezeichnenden Namen »Krieg gegen die Disziplinlosigkeit« ins Leben rief, die mit konkreten Maßnahmen der Bevölkerung Tugenden wie eine gesunde Arbeitsmoral, Patriotismus und sogar Pünktlichkeit und Geduld nahe bringen sollte.

 

Doch letztlich waren solche und andere seiner damaligen Initiativen pure Kosmetik. Mit dem, was Buhari beim Militär gelernt hatte, mag er es geschafft haben, zwischen 1983/4 bis 1985 in Nigeria den Anschein von Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten. Grundlegende politische Reformen unternahm er jedoch nicht und ließ viele Regelungen seiner Vorgängerregierungen unberührt. Angeheizt durch den Verfall des Öl-Preises und politisches Missmanagement verschärften sich grundlegende Probleme wie die in weiten Bevölkerungsteilen grassierende Armut und äußerten sich zunehmend auch in offenem Unmut.

 

Im Umgang mit der wachsenden Kritik an seinem Regime zeigte Buhari wieder militärische Härte. War seine Politik des Durchgreifens gegenüber den Korrupten des Ancien Régime noch begrüßt worden, so zeigte sich nun die hässliche Seite seiner Politik der harten Hand. Kritische Nachrichtenhäuser wurden mundtot und unangenehmen Journalisten der Prozess gemacht. Massenproteste der Gewerkschaften ließ Buhari ohne Rücksicht auf Verluste durch Polizei und Armee auflösen. Auch beim gewaltsamen Vorgehen gegen Proteste der Studentenbewegung gab es Tote. Im Jahr 1985 war der öffentliche Unmut schließlich so groß, dass das Militär erneut einschritt. General Ibrahim Babangida stürzte Buhari und beendete seine Amtszeit nach nur zwanzig Monaten.

 

Ist Buhari ein »bekehrter Demokrat«?

 

»Ich kann die Vergangenheit nicht ändern«, gestand Buhari Ende 2014 in einer Rede vor Journalisten und Wissenschaftlern im Londoner Chatham House und schiebt hinterher: »Allerdings kann ich Einfluss auf Gegenwart und Zukunft nehmen.« Der heute 72-Jährige nennt sich selbst einen »ehemaligen Militärherrscher« aber nun »bekehrten Demokraten« – und das nimmt man ihm durchaus ab. Seit der Rückkehr Nigerias zu einer zivilen, demokratischeren Regierungsführung im Jahr 1999 ging Buhari bei jeder Wahl um das Präsidentenamt ins Rennen. Und verlor jedes Mal. Immer focht er die Wahlergebnisse wegen Manipulation und Wahlbetrugs vor Nigerias Oberstem Gerichtshof an. Und verlor den Prozess jedes Mal.

 

Auch wenn es vor der diesjährigen Wahl Drohungen gegeben haben soll, dass Buhari und seine Anhänger im Falle krasser Wahlmanipulationen nicht noch einmal den Rechtsweg gehen würden, allein ob der Tatsache, dass er dies zuvor bereits viermal getan hatte (trotz deutlicher Anzeichen für Fälle von Wahlbetrug), muss man Buhari ein gewisses demokratisches Durchhaltevermögen und ein offenbares Vertrauen in dessen Institutionen zugestehen. Ein völliges Zurückfallen Buharis nach seinem Amtsantritt in alte, autokratische Muster würde dem ehemaligen Militär heute wohl auch kaum mehr durchgelassen werden.

 

Die Situation 2015 ist nicht mit der Lage Mitte der 1980er Jahre vergleichbar. Die heute bestens vernetzte nigerianische Zivilgesellschaft im In- und Ausland, die ihren Einfluss beispielsweise mit der »Occupy Nigeria«-Bewegung im Jahr 2012 unter Beweis stellte, würde solche Tendenzen wohl öffentlichkeitswirksamer anprangern als damals möglich. Unmittelbar nach Verkündigung des Wahlergebnisses am 1. April dankte Buhari seinen Wählern und nannte den Wahlausgang ein historisches Ereignis. »Unser Land gehört nun zu dem Kreis von Ländern, die durch die Wahlurne mit friedlichen Mitteln einen Amtsinhaber in einer freien und fairen Wahl ablösten«, so Buhari.

 

Und tatsächlich: Der Ablauf der Wahl, die wegen der Sicherheitslage in Nordost-Nigeria bereits um sechs Wochen verschoben worden war, erwies sich zwar als holprig, war aber zugleich nicht annähernd so düster, wie von vielen zuvor heraufbeschworen.

 

Der rechte Mann am rechten Ort

 

Da viele der Lesegeräte für die elektronischen Wahlscheine nicht funktionierten, öffneten die Wahlbüros einen Tag länger, einzelne Wähler hatten sich erst gar nicht registrieren können. Internationale Wahlbeobachter von EU, Afrikanischer Union und Vereinten Nationen lobten den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl. Vereinzelt brach jedoch Gewalt aus, vor allem begangen durch Anhänger bewaffneter Gruppierungen mit ganz eigenen Interessen, wie Boko Haram in Nord-Nigeria sowie die MEND-Miliz im Öl fördernden Südosten.

 

Die befürchtete Gewalt zwischen Anhängern der konkurrierenden Parteien blieb jedoch weitestgehend aus – vor allem auch da beide Kandidaten schon vor dem Wahltag immer wieder das Mantra eines gewaltlosen Wahlablaufs gepredigt hatten. Auch wenn er selbst seine Zeit als Militär für passé hält – Buhari ist sicherlich zu einem guten Stück eben genau wegen seines Rufs als Disziplinator und strenger Militär gewählt worden. Er war der rechte Mann am rechten Ort und konnte von einer Wechselstimmung profitieren.

 

Große Teile seines Volkes sehnen sich anscheinend danach, dass drängende Krisen wie das Wuchern der Terrorgruppe Boko Haram endlich resolut angegangen werden. So ist Buharis Sieg zugleich auch vor allem eine Niederlage des Amtsinhabers Goodluck Jonathan. Dessen als zögerlich und sogar gleichgültig empfundene Reaktion auf Attacken Boko Harams – insbesondere nach der Entführung hunderter Schulmädchen aus einer Schule in Chibok – wurde ihm schwer angelastet. Auch gegen das lasche Vorgehen gegen Korruption und Fälle von Vetternwirtschaft richtete sich die öffentliche Kritik.

 

Zudem überwarf sich Jonathan immer wieder mit einflussreichen Größen seiner Partei, wie zuletzt mit politischem Schwergewicht und Gründervater der noch regierenden PDP, Olusegun Obasanjo. Dieser rechnete in einem offenen Brief mit Jonathan ab, zerriss seinen Parteiausweis und bekräftigte fortan seine Unterstützung für den Herausforderer der Oppositionspartei APC, Wahlsieger Muhammadu Buhari. Obwohl Letzterer im Wahlkampf immer wieder gezielt als Relikt der Vergangenheit und Politiker der alten Garde angegriffen wurde (womit die regierende PDP Buharis Slogan eines »Neuanfangs« und eines »Wechsels« zu unterhöhlen versuchte), konnte sich Buhari so letztlich gegen den Amtsinhaber durchsetzen.

 

Jonathans Vermächtnis

 

Trotzdem wird Goodluck Jonathan zu Recht als der erste Präsident in die nigerianische Geschichte eingehen, der nach einer Wahlniederlage diese nicht nur restlos eingestand, sondern dem überlegenen Herausforderer auch unmittelbar nach der Verkündung der Ergebnisse zu seinem Sieg gratulierte. Eine Tonaufnahme des kurzen Telefonats verbreitete sich innerhalb kurzer Zeit über die sozialen Netzwerke. Darin versprechen sich scheidender und frischgewählter Präsident, bei der Übergabe des Staatgeschäfts in den nächsten Monaten eng miteinander zu kooperieren.

 

Für den als »Sieg der Demokratie« deklarierten friedlichen Machtwechsel ist zudem auch die von Jonathan initiierte umfangreiche Reform des Wahlsystems maßgeblich verantwortlich und muss ihm hoch angerechnet werden. Da Jonathan dem von ihm ernannten Vorsitzenden der unabhängigen Wahlkommission INEC, Attahiru Jega, weitestgehend frei gewähren ließ, machte dies den relativ reibungslosen Ablauf mit geringerer Manipulationsgefahr überhaupt erst möglich.

 

Jega stellte sich als richtiger Mann für dieses Amt heraus und ließ sich im angeheizten Wahlkampf von Anfeindungen beider politischen Kontrahenten kaum aus der Ruhe bringen. »Lasst uns nun umsichtig, respektvoll und friedlich handeln. Die Wahl war stark umkämpft, Emotionen sind hochgekocht«, so Buhari unmittelbar nach der Auszählung. »Wir dürfen uns aber nun nicht von unseren Emotionen übermannen lassen. Nun ist nicht die Zeit für Konfrontationen. Es ist Zeit, Wunden zu heilen und für eine bessere Zukunft zu arbeiten.« Auch wenn er »nur« zur rechten Zeit am rechten Ort und im Vergleich zu seinem Vorgänger vielleicht lediglich das geringere zweier Übel gewesen sein mag, nach fünf Jahren Jonathan wird mit Buharis Amtantritt sicherlich außen-, vor allem aber innenpolitisch ein frischer Wind wehen.

 

Baustellen gibt es zu Genüge: weite Teile der Bevölkerung in Nordost-Nigeria sind auch weiterhin durch den Terror Boko Harams in ihrer Sicherheit bedroht, Heerscharen junger Menschen haben aufgrund fehlender Arbeitsplätze keine Perspektive, grassierende Korruption zehrt an den durch den niedrigen Öl-Preis ohnehin geringen Staatsressourcen. Buhari wird im Amt seinen Worten Taten folgen lassen müssen. Seine friedliche und demokratische Machtergreifung ist dafür ein guter Ausgangspunkt.

Von: 
Marvin Kumetat

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