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Prozess gegen westliche NGOs in Ägypten

Verschwörung am Nil

Feature

Mit dem Prozess gegen westliche NGOs in Ägypten setzt Planungsministerin El Naga auf nationalistische Gefühle – und internationales Renommee aufs Spiel. Und um die betroffenen Organisationen geht es eigentlich gar nicht.

Ägypter lachen gerne und sind dafür bekannt, ständig neue Witze zu erfinden. Mit gleicher Begeisterung ergeben sie sich Verschwörungstheorien. Besonders beliebt ist der Feind aus dem Ausland, der nicht weniger im Sinn hat, als die Zerstörung der ägyptischen Nation. Egal ob Kirchen brennen, Demonstranten aus dem Hinterhalt erschossen werden, oder ob Schlägertrupps ein Massaker unter Fußballfans anrichten, stets wird dahinter der unsichtbare Drahtzieher aus dem Ausland vermutet – und das findet kein Ägypter witzig.

 

Fayza Abou El Naga, als Ministerin verantwortlich für Planung und internationale Zusammenarbeit, hat dem dunklen Gegner die Maske vom Gesicht gerissen und seine niederträchtigen Absichten ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt.

 

Razzien bei einer Reihe von ausländischen »Nichtregierungsorganisationen« (NGO) führten zur Beschlagnahme von Computern, elektrischen Wasserkochern und einer Landkarte, auf der Ägypten in Gestalt eines in vier Teile gespaltenen Landes dargestellt wird.

 

Laut Ministerin Fayza sind dies erdrückende Beweise für eine US-amerikanisch-israelische Verschwörung, um Chaos zu säen und den Staat zu unterminieren. Die unabhängige ägyptische Justiz erhob prompt Anklage wegen Betreibens einer ungenehmigten Vereinigung, illegaler Finanzierung aus dem Ausland und der Verwendung dieser Mittel zu rechtswidrigen Zwecken. Die halbamtliche Al-Ahram hämmerte der Öffentlichkeit über Tage hinweg ein, die Angeklagten hätten Ausschreitungen gegen Sicherheitskräfte finanziert und seien mitverantwortlich für Proteste gegen den regierenden Armeerat, um diesen zu einer baldigen Machtübergabe an eine zivile Regierung zu zwingen.

 

Die Ministerin ist keinen Widerspruch gewohnt

 

Erstaunlich ist, dass diese NGOs, zu denen auch die Konrad Adenauer-Stiftung gehört, unter dem autokratischen Mubarak-Regime ungehindert agieren konnten. Nun, im demokratischen Ägypten, werden diese als so große Gefahr dargestellt, dass Ministerin Fayza einen Bruch mit den USA und eine Streichung von jährlich 1,3 Milliarden US-Dollar Militärhilfe riskiert.

 

In der Tat sind NGOs gesetzlich verpflichtet, über ausländische Einkünfte Rechenschaft abzulegen und dies ist offenbar nicht geschehen. Nachvollziehbar ist auch, dass Organisationen mit Argwohn betrachtet werden, die von ausländischen Regierungen oder regierungsnahen Institutionen finanziert sind, sich politisch engagieren, um in Ägypten abendländische Werte und Gedankengut der westlichen Kultur zu verbreiten.

 

Der Öffentlichkeit ist sehr wohl bewusst, dass eben dieses Abendland das Regime des Hosni Mubarak nach Kräften wirtschaftlich und politisch unterstützt hat, um das eigene außenpolitische Interesse (Sicherheit für Israel) zu sichern. Die Opfer dieser Politik sind 80 Millionen Ägypter, die 30 Jahre korrupte und menschenverachtende Herrschaft zu erdulden hatten.

 

Ministerin Fayza, geboren 1953 in Alexandria, ist keinen Widerspruch gewohnt. Entwicklungshilfeorganisationen buhlen um ihre Genehmigung, nur um helfen zu dürfen. Sie wird sich geärgert haben, als die USA im letzten Jahr 20 Millionen US-Dollar  aus dem zivilen Kooperationsetat abzogen und »ihren« NGOs zur Verfügung stellten, um Demokratie zu fördern.

 

Die für ihren bisweilen derben Ton bekannte Karrierediplomatin, die Entwicklungshilfemilliarden nach Gutsherrinnen-Art verwaltet, und als treuer Paladin Mubaraks zu dem alten Regime gehörte, erfreute sich, ebenso wie die Armeeführung, dank ihrer populistischen Verteidigung der nationalen Souveränität plötzlich steigender Beliebtheitswerte.

 

Kaum jemand und schon gar nicht die islamistische Parlamentsmehrheit wirft die Frage auf, weshalb die mit Millionenbeträgen aus Saudi Arabien und Katar unterstützten salafistischen Gruppierungen unbehelligt blieben.

 

Fünf aus 30.000

 

Wenn man weiß, dass in Ägypten mehr als 30.000 NGOs aktiv sind, dann fallen die 5 ins Visier genommenen nicht ins Gewicht. Niemand kann ernsthaft glauben, dass die kleinen Büros in Kairo, die mit Think Tanks und durchaus auch Regierungsbehörden über Demokratie diskutieren, ernsthaft die politische Willensbildung eines 80 Millionen-Volkes beeinflussen könnten.

 

Auch der Vorwurf der territorialen Zersetzung ist recht zweifelhaft.  Die den Ermittlern in die Hände gefallene Landkarte stammt von Wikipedia und zeigt Ägypten wie üblich als Ober- und Unterägypten, Großraum Kairo und Suez Kanal-Sinai Region.

 

Es geht eben nicht um die Konrad Adenauer-Stiftung. Das eigentliche Zielobjekt des »Heiligen Krieges« um die Souveränität der Nation, den die zu einer Revolutionärin mutierte Ministerin anführt, sind die eigenen ägyptischen Menschenrechtsorganisationen. Es geht gegen die Revolutionäre vom Tahrir-Platz, die verlangen, dass die Verantwortlichen für mehr als 1000 Tote zur Rechenschaft gezogen werden. Es geht darum, der Armee ihre Privilegien zu erhalten und vor allen deren finanzielle Unabhängigkeit, die aus ihrer dominanten Rolle in der Wirtschaft des Landes resultiert.

 

Die Generäle agieren traditionell aus dem Hintergrund. Während die Ministerin sich gehorsam kompromisslos gab, signalisierte die Armeeführung: »Alles wird gut!« Man spielte auf Zeit. Die Unabhängigkeit der Justiz müsse gewahrt bleiben, denn das seien ja genau die demokratischen Werte, die der Westen stets vertrete.

 

Einmal mehr jedoch ging die Rechnung nicht so auf, wie es sich die Generäle gewünscht hätten. Mit der Aktion gegen US-Bürger, die sich bei NGOs engagierten, darunter der Sohn des amerikanischen Transportministers, büßte Ägypten jegliche Sympathie in der amerikanischen Öffentlichkeit ein. Selbst wenn die Drohung der Einstellung der Milliardenzahlung ein politischer Bluff gewesen war, so muss sich nun die amerikanische Regierung gute Gründe überlegen, um die Gelder zu bewilligen. Ein US-Gesetz schreibt überdies vor, dass dies nur geschehen darf, nachdem Ägypten beweist, dass es demokratische Strukturen etabliert.

 

Das mächtige Geschütz der Souveränitätspropaganda geht nun nach hinten los

 

Würde die Militärhilfe aber tatsächlich ausgesetzt, so stünden womöglich andere Geber bereit, deren Einfluss am Nil unerwünscht ist. Bereits nach der ersten Eskalation mit den USA begannen die Gelder aus den Golfstaaten zu fließen und der Iran kündigt Investitionen in Ägypten an.

 

Obwohl sich die Situation durch die Aufhebung des Ausreiseverbotes gegen die ausländischen NGO-Angehörigen entspannt hat und diese nach Leistung einer Kaution das Land verlassen haben, ist das politische Image Ägyptens ruiniert und die geplante Fortführung des Gerichtsverfahrens lässt nichts Gutes ahnen.

 

Innenpolitisch löste die Aufhebung des Ausreiseverbotes eine Schockwelle aus. Das mächtige Geschütz der Souveränitätspropaganda geht nun nach hinten los. Das Parlament verlangt erbost Aufklärung, weshalb die Regierung sich dem Druck der USA gebeugt hat. Die Unabhängigkeit der Justiz ist jetzt offiziell zur Farce geworden. Die wahren Verschwörer, so wissen viele Ägypter, sind nicht im Ausland zu suchen.

 

Demokratie erschöpft sich nicht in freien Wahlen. Dazu gehören auch Transparenz und Minderheitenschutz, eine tolerante Zivilgesellschaft, die auf Recht und Gesetz basiert, in der politische, religiöse und wissenschaftliche Institutionen frei agieren dürfen. Dazu gehören auch NGOs.

Von: 
Markus Fischer

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