Regisseurin und Illustratorin Marjane Satrapi über einen Film wie ein 200-Meter-Sprint, einen Titel wie ein Gericht – und die Vorbildwirkung ihrer Großmutter.
zenith: Ihr Animationsfilm »Persepolis« war sehr erfolgreich. Warum haben Sie sich dazu entschieden, nun einen Film mit realen Schauspielern zu drehen?
Marjane Satrapi: Ich bin keine Marathonläuferin. Einen Animationsfilm zu drehen ist sehr schwierig und zeitaufwändig. Das Gute an der langen Produktionszeit ist, dass man immer wieder etwas ändern kann, wenn einem etwas nicht gefällt, wobei auch das sehr anstrengend ist. Für meinen neuen Film habe ich 46 Drehtage vorgegeben bekommen – nicht mehr und nicht weniger. So hat man natürlich gleich Druck, andererseits entsteht sofort eine Dynamik und man ist die ganze Zeit auf den Film fokussiert. Es ist eher wie ein 200-Meter-Sprint.
Ihren neuen Film haben Sie mit verschiedenen internationalen Schaupspielern in Berlin auf Französisch gedreht. Ist das Ausdruck einer neuen globalen Filmkultur?
Ja, das ist ein sehr neues Phänomen. Früher ist ein Ernst Lubitsch nach Amerika gegangen, hat ein Filmset aufgebaut und es Prag oder Warschau genannt, und Schauspieler wie James Stewart oder Gary Cooper haben dann Tschechen oder Polen gespielt. Aber alle haben Englisch gesprochen. Es waren amerikanische Filme mit starkem zentraleuropäischen Geist. Und da ich auch im Exil lebe, sind meine Mittel ebenfalls begrenzt. Im Übrigen, in den Filmklassikern spricht Spartakus ja auch kein Latein und Mozart kein Deutsch, weil für die Filmemacher die Handlung zählt. Mein Film ist eine iranische Geschichte, besetzt mit Schaupielern aus der ganzen Welt, das Ganze gedreht in Berlin und in Frankreich produziert – ein Plädoyer für den multikulturellen Film!
Warum haben Sie die persische Laute Tar des Protagonisten aus dem Buch im Film durch eine Violine ersetzt?
Ein Film ist eine Frage des Rhythmus und die Tar kennt hierzulande nunmal kaum jemand. Wenn ich ein für Europäer so ungewohntes Objekt verwenden würde, würde das die Aufmerksamkeit zu sehr auf die Andersartigkeit des Instruments lenken. Dabei ist es doch bloß ein Symbol für die Liebesgeschichte im Film! Außerdem ist die Violine überall auf der Welt bekannt, deswegen habe ich das Instrument ausgetauscht. Aber natürlich hört man im Hintergrund auch den wundervollen Klang der Tar.
Wie viel Budget stand Ihnen für »Huhn mit Pflaumen« zur Verfügung?
Wir hatten ein Budget von etwa einer halben Million Euro zur Verfügung – und für solch einen Film ist das wirklich wenig. Wir hatten eigentlich mit der dreifachen Summe kalkuliert und mussten uns also etwas einfallen lassen, um den Film mit weniger Mitteln zu realisieren. Aber das ist uns, denke ich, ganz gut gelungen.
Wie kamen Sie auf den Titel »Huhn mit Pflaumen«?
Drei Gründe waren dafür ausschlaggebend. Zunächst einmal ist das Essen so ziemlich das Einzige, was der Hauptcharakter und seine Frau wirklich teilen. Außerdem ist Essen der letzte Genuss, den man verlieren kann. Ohne Rauchen, ohne Musik kann man überleben, aber wer nicht mehr essen kann, der stirbt. Im meinem Film ist der Moment, in dem der Protagonist beschließt, diesen Genuss aufzugeben, ein Wendepunkt. Und drittens, mag ich den Titel, ganz einfach!
Welche Botschaft geht von »Huhn mit Pflaumen« aus?
Ich erzähle die Geschichte eines Mannes im Iran 1958, der wegen der Liebe zu einer Frau stirbt. Das ist aus meiner Sicht viel wichtiger als irgendwelche Slogans oder politische Ansichten. Es ist wichtig zu begreifen, dass die Menschen dort das Recht haben, sich zu verlieben und auch daran zu sterben, Träume und Hoffnungen zu haben. Die Handlung spielt Ende der 1950er Jahre, als der Iran nach dem CIA-Coup 1953 die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel vollends verloren hatte. Aber das ist nur ein Handlungsstrang, mein Fokus in dem Film liegt eher auf der Existenzkrise in Leben, Liebe, Musik und dem Menschsein. Eigentlich ist es einfach eine realistische Darstellung darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein.
Würden Sie gerne wieder in Ihre Heimat, in den Norden Irans, zurückkehren?
Ja, das würde ich sehr gerne. Meine Großmutter kommt aus Rascht, sie hat mich großgezogen.
Ist das die Großmutter, die in Ihrem Film »Persepolis« ihre Brüste in Eiswasser legt, um diese in Form zu halten?
Ganz genau.
Viele Frauen in Europa, die den Film gesehen haben, wenden das Rezept nun ebenfalls an.
Ich habe mittlerweile mitbekommen, dass nicht nur ich von meiner Großmutter etwas gelernt habe.
Marjan Satrapi,42, wurde im nordiranischen Rascht geboren und lebt seit 1994 im französischen Exil. Ihre Jugendjahre zwischen Teheran und Wien verarbeitete Sie in der weltweit erfolgreichen Comic-Autobiografie »Persepolis«, deren filmische Adaption 2008 für den Oscar nominiert war.