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Umgang mit Koran-Verteilungen

Der Koran und was man damit alles machen kann

Kommentar

Verteilen? Verbieten? Verteilen verbieten? Wie umgehen mit dem Koran? Lesen, und zwar am besten eine gute Übersetzung. Denn das Problem liegt weniger im Koran als vielmehr im Umgang mit ihm, meint Christian Meier.

Korane sind vielseitig. Man kann in Koranen lesen. Man kann sie vorsingen. Man kann sie stapeln. Man kann sie – wenn sie klein genug sind – an den Rückspiegel des Autos hängen. Man kann sie sogar weitwerfen. Man kann sie auswendig lernen, Kommentare in sie reinschreiben, sie verschenken. Man kann sie andererseits wegschmeißen, verbrennen, im Klo runterspülen. Alles schon vorgekommen.

 

Man kann Korane drucken. Man kann sie auch nicht drucken. Tut man letzteres, macht man sich weder strafbar noch paradiesuntauglich. Insofern hat die Druckerei Ebner & Spiegel aus Ulm weder dies- noch jenseitig Nachteile zu befürchten, als sie am vergangenen Montag den Auftrag zurückgab, weitere 50.000 Korane für eine Verteilaktion von Salafisten in Deutschland zu drucken. Die Aktion, die schon seit Wochen mit Infoständen in mehreren Städten stattfindet, hat zunehmende Kritik auf sich gezogen. Zu Recht: Die Aktivisten, die dem islamistischen Verein »Die wahre Religion« nahestehen, vertreten einen rigiden Islam und sind zum Teil äußerst aggressiv gegenüber Nichtmuslimen, ebenso wie gegenüber kritischen Journalisten.

 

Wundern darf man sich aber über die Art und Weise, wie in manchen deutschen Medien über den Koran-Aspekt berichtet wird. Die Frankfurter Allgemeine etwa vermeldete am Montag in Polizeiberichtmanier: »Am Wochenende waren in Baden-Baden, Göppingen, Laupheim und Tuttlingen ohne Vorkommnisse wieder Korane verteilt worden. An vielen Ständen waren die Korane schon in der ersten Stunde vergriffen.«

 

Die dpa hielt es im Zusammenhang mit der Ulmer Druckerei für erwähnenswert, dass eine vorherige Druckauflage von Koranen »vom Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen als ›unbedenklich‹ eingeordnet« worden sei. Was wird die Nachrichtenagentur als nächstes enthüllen? Ist am Ende auch das Alte Testament publikationstechnisch – sozusagen – koscher?

 

Beinahe könnte man glauben, der Koran stelle bereits an sich einen Rechtsverstoß dar. Eine Ansicht, die nicht wenige Bewohner dieses Landes vermutlich teilen würden. Die Offenbarungen Gottes an seinen Gesandten Muhammad haben bei uns keinen guten Ruf. Was soll man aber auch anderes erwarten von einem Buch, das im 7. Jahrhundert entstanden ist und sich heute an vielen Stellen entsprechend merkwürdig liest? Viele Passagen ergaben in der historischen Situation ihrer Offenbarung einen Sinn, den sie verloren haben.

 

Gläubige Muslime gehen damit ganz unterschiedlich um: Manche glauben, der Weg zu einem koran- und damit gottgemäßen Leben liege darin, sich der »Urgemeinde« um Muhammad gesellschaftlich wieder möglichst anzunähern. Andere betonen die ständige Interpretationsbedürftigkeit des Korans, mithin seine Zeitgebundenheit. Und das ist nur eine sehr grobe Unterscheidung.

 

Journalisten sollten sich davor hüten, unfreiwillig die Argumentation der Fundamentalisten zu übernehmen

 

Das Problem liegt weniger im Koran als vielmehr im Umgang mit ihm. Die Berichterstattung mancher Medien erscheint vor diesem Hintergrund fragwürdig, denn sie unterstellt das Gegenteil: Die Suggestion, hier werde gewissermaßen explosives Material unters Volk gebracht, verstärkt Vorurteile.

 

Zudem verlagert sie die Problematik auf eine falsche Ebene: Sie schafft sie ein verdinglichtes, immobiles Bild vom Islam. Eine Religion wird aber nicht durch ihr Glaubensinventar friedliebend oder gefährlich, sondern durch die Wechselwirkungen, die sich zwischen diesen Texten, den Gläubigen und der Welt um sie herum ergeben. Fundamentalisten wie diejenigen von »Die wahre Religion« leugnen, dass es solche Wechselwirkungen gibt – für sie ist der Islam ewig und unveränderlich. Diese Sicht der Dinge sollten Journalisten nicht auch noch unfreiwillig bestärken.

 

Man darf sich den Koran also durchaus zulegen – wenn man vielleicht auch nicht unbedingt zu den kostenlosen Exemplaren der Salafisten greifen sollte. Es gibt gute, auch sprachlich schöne Übersetzungen fachkundiger Wissenschaftler, durchaus bezahlbar – und teilweise mit Erläuterungen, die dabei helfen können, die fremde Welt des Korans näherzubringen.

Von: 
Christian Meier

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