Der »Wiederaufbau« soll diejenigen belohnen, die mit Mut zum Risiko in den Erhalt des Assad-Regimes investierten. Ein zenith-Dossier über Mächte und Menschen, die Syriens Zukunft nicht nur anderen überlassen wollen.
Viel zitiert – aber kaum gelesen. Was hoffentlich nicht auf die vorliegende Ausgabe unseres Magazins zenith mit ihrem Syrien-Dossier zutreffen wird, gilt mit Gewissheit für den Preußen Clausewitz. Dessen berühmten Lehrsatz vom Krieg als »Fortführung der Politik mit anderen Mitteln« hat das syrische Regime erweitert und konsequent ins Gegenteil verkehrt: Verhandlungen und Gespräche um politische Lösungen als Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln. Damit hat es sein Ziel erreicht: das Fortbestehen seiner selbst. Aber an eine Rückkehr zum Status Quo von vor 2011 glaubt niemand. Entsprechend weigern sich die europäischen Staaten, an einem Wiederaufbau teilzunehmen, der die bestehenden Machtverhältnisse zementiert.
Das zenith-Syrien-Dossier gibt einen Überblick darüber, wie sich verschiedene Akteure die Zukunft dieses Landes und ihre Rolle darin vorstellen. Welche Konflikte in dem wiederkehren, was das Regime als Normalität verkauft, aber auch welche Anstrengungen Syrer unternehmen, die nicht erst warten wollen, bis ein Deus ex Machina über die Bühne schwebt und das Drama doch noch mit einem Happy End beschließt. Für die meisten Syrer gibt es heute weder Sieger noch Besiegte, sondern ein Land das nur verloren hat – an allen Fronten.
Von europäischer Seite ist immer wieder zu hören, andere Spieler – insbesondere Russland – hielten nun das Heft in der Hand. Europa könne nur eine beobachtende Rolle spielen und allenfalls auf deren Vorstöße reagieren. Europas Karten sind in Syrien vielleicht nicht die besten. Aber angesichts des Nullsummenspiels denen die Regionalmächte und militärischen Spieler folgen, könnte man konstatieren: So schlecht sind sie auch wieder nicht. Zumindest nicht schlecht genug, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Glaubt man den Beteuerungen vieler Syrer, die zwischen den bewaffneten Konfliktparteien stehen, so wünschen sie sich mehr europäisches Engagement. Die Europäer, so heißt es, seien die einzigen, die Syrien einmal in den Kreis mittelmeerischer Kulturen aufnehmen könnten. Ein Kreis, in dem sich viele Syrer seit alters her verortet wünschen und der die Identität dieses Landes mindestens so sehr prägte wie das Arabische oder der Islam. Die erschütterte Region mit Syrien als Epizentrum mag Europas natürliche Einflusszone sein. Das allerdings gilt immer auch umgekehrt.
Hier sind einige der Geschichten, die Sie auf den 47 Seiten des Schwerpunkts erwarten:
Hier in Utopia: Basisdemokratie, Gleichberechtigung, Umweltschutz: In Nordsyrien propagiert der PKK-Ableger PYD nichts weniger als den Aufbau eines neuen Gesellschaftsmodells – nicht nur für Kurden. Doch besteht der »demokratische Konföderalismus« den Praxistest?
Wer geschwind sät: In der Bekaa-Ebene im Libanon bilden Europäer und syrische Aktivisten Männer und Frauen aus Flüchtlingslagern zu Biobauern aus. Die ökologische Landwirtschaft setzt auf selbstbestimmte Landwirte – und fordert das Monopol des syrischen Regimes heraus
Elf Freunde müsst ihr sein: Um Haaresbreite verpasste Syrien im Herbst die erste WM-Teilnahme. Das Assad-Regime inszeniert den sportlichen Achtungserfolg als Plädoyer für den Präsidenten. Doch Krieg und Folter machten auch vor dem Sport nicht halt. Syriens Fußballfans stehen vor einem Dilemma: Darf man diesem Team zujubeln?
Außerhalb des Schwerpunkts erwarten Sie neben Analysen und Profilen auch wieder Reportagen und Fotostrecken. Hier schon mal eine kleine Vorschau:
Von Mosul nach Mindanao: Armut und Korruption treiben den Islamisten auf den Philippinen in Scharen neue Kämpfer in die Arme. Ein Autonomiegesetz soll Vertrauen schaffen, doch die Politik kommt nicht hinterher. Dabei läge die Lösung gar nicht weit entfernt.
Die Unbezwingbaren: Die Kämpfer des IS sind im Irak zwar stark in die Defensive geraten, doch sie hinterlassen ein traumatisiertes Land. Auch wenn die seelischen Wunden nie ganz verheilen werden, entwickeln viele Opfer ungeahnte Kräfte, sie zumindest ein Stück weit zu schließen.
Ziemlich vulgär! Im Libanon versucht eine Handvoll Klassikfreunde, ihre Landsleute für das musikalische Kulturerbe der Region zu begeistern. Puristen und Klangbastler sind sich indes nicht immer einig, was authentische arabische Musik eigentlich ausmacht.