AKP-Mitglieder sitzen in Vereinsvorständen, konservative Unternehmer erhalten Vorzüge beim Stadionbau, und die einst rebellische Fankultur wird an den Rand gedrängt. Einblicke in die politischen Netzwerke des türkischen Fußballs.
Recep Tayyip Erdoğan ist von Kameras umgeben. Er verteilt Komplimente und lässt sich umschmeicheln. Vor allem von Ilham Aliyev, dem Präsidenten Aserbaidschans. Erdoğan und Aliyev umarmen sich, scherzen miteinander und unterzeichnen Abkommen. Brüderliche Gesten, die im Juni 2021 die politische Partnerschaft ihrer beiden Länder unterstreichen. Szenen, ausgerechnet aus Schuscha. Einer Stadt in Bergkarabach, die Aserbaidschan mit militärischer Unterstützung der Türken im Krieg gegen Armenien im Herbst 2020 erobert hatte.
Einen Tag später, am 16. Juni 2021, reist Erdoğan von dort in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku und besucht das Nationalstadion. Dort bestreitet die türkische Auswahl bei der Europameisterschaft ihr Vorrundenspiel gegen Wales. Vor und nach dem Spiel werden Kooperationen besiegelt, unter anderem in den Bereichen Sicherheit, Wirtschaft und Energie.
»Der Fußball ist in der Türkei ein wichtiges Instrument der politischen Eliten«, sagt der britische Journalist Patrick Keddie, der seit Jahren den türkischen Fußball begleitet. Das wird in der Außenpolitik deutlich, aber mehr noch bei inneren Angelegenheiten. »Die AKP will ihre eigene konservative Mittelschicht aufbauen. Ein Mittel dafür ist die Bauindustrie«, sagt Keddie im Gespräch mit zenith.
Erdoğan und seine Gefolgsleute übertragen Bauaufträge an islamisch-konservative Firmen aus Anatolien: für Flughäfen, Straßen, Moscheen – und Stadien
Um den politischen Einfluss des Sports zu erfassen, muss man den historischen Blick weiten. Die Wirtschaftselite der Türkei hatte sich über Jahrzehnte an den säkularen Werten des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk orientiert. Erdoğan und seine Gefolgsleute aber haben mehr Bauaufträge an islamisch-konservative Firmen aus Anatolien übertragen. Für Flughäfen, Straßen, Moscheen – und eben auch Stadien.