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Islamdebatte nach dem Palmer-Eklat

Von welcher Wissenschaft ist hier die Rede?

Feature
Islamdebatte nach dem Palmer-Eklat
Medial präsent und ein islamkundliches Allround-Talent? Susanne Schröter bei Bild-TV.

Das »Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam« um Susanne Schröter ist medial präsent und gibt gern klare Antworten. Umso vager bleibt, was dort eigentlich erforscht wird. Und von wem?

Am Ende konnte man sich nur fragen, ob der Eklat vorprogrammiert war oder fahrlässig in Kauf genommen wurde. Im Journal Frankfurt hieß es jedenfalls trefflich: »Wer Palmer bestellt, bekommt Palmer«. Am 28. April hatte das der Frankfurter Goethe-Universität angeschlossene »Forschungszentrum Globaler Islam« (FFGI) den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer als Redner auf eine Konferenz geladen. Vor wütenden Demonstranten, die vor Ort gegen seine Teilnahme protestierten, bestand Palmer – auch direkt einem schwarzen Demonstranten gegenüberstehend – auf seinem Recht, das N-Wort zu gebrauchen. Die Versuche, ihn von einer Konferenz auszuschließen und in seiner Redefreiheit einzuschränken, seien wie ein »Judenstern«, setzte er nach. Auf den Eklat reagierte Palmer – entgegen seiner Gewohnheit – mit Reue und kündigte politische sowie persönliche Konsequenzen an.

 

Die Leiterin des FFGI, die Ethnologin Susanne Schröter, die die Konferenz »Migration steuern, Pluralität gestalten« initiiert und geleitet hatte, distanzierte sich etwas später. Konsequenzen gab es, anders als bei Palmer, bei ihr offensichtlich nicht. Palmer habe die Wissenschaft »stark beschädigt«, hieß es in einer Erklärung des FFGI. Doch während sich das Medienecho weitgehend auf Palmers Person und die fragwürdige Einladungspolitik der Veranstalterin konzentrierte, bleibt eine Frage eher unbeantwortet: Von welcher Wissenschaft war hier eigentlich die Rede?

 

Seit seiner Gründung 2014 hat es das FFGI in Deutschland zu bemerkenswerter medialer Aufmerksamkeit gebracht, was wohl vor allem der Person Susanne Schröter und ihren Positionen zu verdanken ist. Schröter ist gewissermaßen das Gegenmodell zum Klischee des Islamwissenschaftlers, der im Elfenbeinturm von der Aktualität unbehelligt über frühen Koranhandschriften brütet und sich aus Islam-Debatten heraushält, weil ihm der Medienzirkus zuwider ist und die Moderne nicht sein Fachgebiet. Schröter hingegen spricht zu nahezu allen, den Islam und Muslime auch nur am Rande betreffenden Themen. (Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass sie sich auf von zenith gestellte Fragen »aus Zeitgründen« nicht äußern wollte und an ihren Mitarbeiter verwies.)

 

In der Öffentlichkeit vertritt Schröter betont kritische Positionen, die von Fachkollegen als vereinfacht und mitunter essentialistisch dargestellt werden. 2018 klagte Schröter in der FAZ als Reaktion auf die »Silvesternacht« einen »Frauenhass« an, der Teil der Kultur nahöstlicher Migranten sei. Der Anthropologe und Ägypten-Fachmann Samuli Schielke (Zentrum Moderner Orient) kritisierte damals in zenith, Schröter ignoriere den vorhandenen Forschungsstand, zu welchem sie selbst schon gar nichts beigetragen habe. Schröters letztes Buch, der Spiegel-Bestseller »Global gescheitert«, handelt vom angeblichen Selbsthass des Westens und rechnet mit dessen Außenpolitik ab.

 

Die Buchstaben purzelten durcheinander

 

Ein Markenzeichen Schröters ist dabei das Narrativ, Probleme mit dem Islam und Frauenrechten, der Integration von Muslimen und anderen kontroversen Themen würden von einer Mehrheit von Medien und Wissenschaft tabuisiert. »Kritik an meinen Aussagen kommt dabei nie von Fachkollegen, sondern aus linken Kreisen«, sagte Schröter einmal im Interview mit der NZZ.

 

Schröters Sachbücher und populärwissenschaftliche Veröffentlichungen lassen vordergründig ein islamkundliches Allround-Talent vermuten, mit einem extrem breiten Fachgebiet. Schröter, die laut eigener Webseite 1994 mit einer Arbeit in Ethnologie über »Männliche Selbsterhaltungsstrategien angesichts der Vorstellung omnipotenter Weiblichkeit - Materialien zur Konstruktion von ‘Männlichkeit’ und ‘Weiblichkeit’ in Melanesien« promoviert wurde, ist allenfalls Expertin für Südostasien. Sie habilitierte sich im Jahr 2000 in Frankfurt mit einer Arbeit über »autochthone Religion, schwarze Magie und rituelles Leben bei den Ngada in Zentralflores« in Indonesien. Gewiss ein wichtiges Land für den globalen Islam, schließlich lebt dort fast ein Fünftel der muslimischen Bevölkerung weltweit.

 

Von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erwartet man durchaus Wortmeldungen zu aktuellen Themen – allerdings nur dann, wenn sich diese auf fundierte, im Idealfall sogar eigene wissenschaftliche Erkenntnisse gründen. Andernfalls steht schnell der Vorwurf der Scharlatanerie im Raum. Wann die Ethnologin Schröter zur Autorität in Fragen von Integration, Islamismus oder Extremismusforschung wurde, steht auf einem anderen Blatt.

 

Eine Ahnung von der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gewinnt, wer allein das Cover von Schröters 2016 erschienenem Buch »Gott näher als die eigene Halsschlagader« betrachtet: Dekorativ in arabischen Lettern sollte da im Hintergrund eine Koransure stehen. Doch der Grafikabteilung des Verlags unterlief beim Kopieren der kursiv verbundenen arabischen Schriftzeichen augenscheinlich ein gängiger Fehler, so dass diese buchstäblich durcheinanderpurzelten. Arabisch ist eine schwere Sprache, mit der auch gestandene Orientalisten ringen. Diesen Fehler aber hätte ein Erstsemester nach einer Woche Arabischunterricht bemerkt. Sind solche Widersprüche von wissenschaftlicher Relevanz und Selbstanspruch auch am FFGI zu finden?

 

Schröters Führungsposition »fachlich nicht begründbar«

 

Das Zentrum behauptet von sich nicht nur, gegenwartsbezogene Grundlagenforschung zum Islamismus »und zu dessen Alternativen« zu betreiben, sondern damit auch ein Alleinstellungsmerkmal zu besitzen: Das FFGI sei »die einzige Forschungseinrichtung, die im deutschsprachigen Raum zum islamischen Extremismus arbeitet«, heißt es dazu in der Broschüre des Zentrums. Schon der Begriff »islamischer Extremismus« ist islamwissenschaftlich umstritten. Ein Großteil der Forscher spricht eher von »islamistischem Extremismus«, um die Abgrenzung von Religion (islamisch) und Ideologie (islamistisch) vorzunehmen.

 

Der Satz ist auch insofern irreführend, als an einer Vielzahl von wissenschaftlichen Einrichtungen im deutschsprachigen Raum zu Geschichte und Gegenwart von Islamismus und Dschihadismus geforscht wird – darunter finden sich Hochschulen wie die Freie Universität Berlin Stiftung sowie Thinktanks wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), oder das German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg ¬– wenngleich kein universitäres Forschungszentrum dieses Thema im Titel trägt.

 

Das FFGI sieht sich nicht nur als führend in der Extremismusforschung, sondern gibt auch eine lobenswerte, wenngleich für Forschungszentren ungewöhnliche Agenda an: Man unterstütze progressive muslimische Bewegungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beraten laut Broschüre politische Gremien und Ministerien der Länder und des Bundes und schließen angeblich die Lücke zwischen Theorie und Praxis – im Sinne angewandter Wissenschaft. Das Institut stellt auf seiner Website neben Schröter weitere acht wissenschaftliche Mitarbeiter vor, drei davon als Doktoranden und sogenannte Post-Docs, also Forscher, die in der Regel bereits promoviert wurden.

 

In Deutschland gibt es keine objektiven Maßstäbe, um die wissenschaftliche Relevanz eines universitären Instituts zu bewerten. Allerdings sind Veröffentlichungen von Monografien, Studien und Aufsätzen in anerkannten, mitunter internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften (bekannt als »Journals«) eine wichtige Währung. Sie bieten Orientierung und werden in der Regel statistisch zur Qualitätssicherung erfasst. Vor allem dann, wenn sie »peer reviewed« sind, also vor Drucklegung von mindestens zwei Fachkollegen kritisch kommentiert und lektoriert wurden. Die SWP etwa verlangt von ihren Forscherinnen und Forschern in der Regel jährlich eine umfangreiche Studie, mit einem mitunter gefürchteten, internen Peer-Review-Verfahren der jeweiligen Forschungsgruppe.

 

Mindestens einmal jährlich sollte man solch eine Veröffentlichung vorlegen, wenn man am Ball bleiben will. Am Berliner Zentrum Moderner Orient (ZMO) etwa wurden laut eigenen Angaben im Jahr 2022 bei circa 40 wissenschaftlichen Mitarbeitern ebenso viele Journal-Artikel veröffentlicht.

 

Den Islamdiskurs mitformen

 

Laut Publikationsliste brachte Schröter immerhin vor drei Jahren noch einen qualitätsgesicherten Beitrag zu Theologie und Frauenrechten in Südostasien heraus. (Titel: »Leading the way. Women’s activism, theology and women’s rights in Southeast Asia.«) Darüber hinaus kann das FFGI keine Angaben zu Journal-Beiträgen und anderen relevanten wissenschaftlichen Veröffentlichungen im Jahr 2022 machen.

 

»Sie überschätzen unsere Kapazitäten«, sagt Schröters Assistent Oliver Bertrand im Gespräch mit zenith. Laut seinen Aussagen besteht das arbeitende Team des Instituts nur aus ihm und Schröter selbst. Auf der Publikationsliste des Zentrums finden sich daher vor allem Sachbücher von Schröter (darunter »Allahs Karawane. Eine Reise durch das islamische Multiversum«, oder »Politischer Islam«) sowie nicht erkennbar standardisierte »Working Papers« des Instituts selbst. Ferner publizistische Beiträge in Zeitungen und Magazinen, die dann noch einmal mit dem Logo des Instituts kreuzveröffentlicht wurden. Dabei sind die wissenschaftlichen Beiträge weder gesondert aufgeführt, noch ist klar ersichtlich, in welchem Dienstverhältnis die genannten Autorinnen und Autoren zum FFGI stehen.

 

Neben Veröffentlichungen ist das Renommée eines Instituts im weltweiten Netz der Wissenschaft ein weiterer Indikator für Relevanz. In diesem Kontext sei ihm das FFGI noch nie begegnet, sagt ein Islamwissenschaftler, der an verschiedenen Universitäten in Großbritannien, unter anderem in Oxford, gelehrt hat, aber auch die deutschsprachige Forschung rezipiert. Sebastian Elsässer, Dozent für Islamwissenschaft an der Universität Kiel, der unter anderem zur Muslimbruderschaft und den Rechten nichtmuslischer Minderheiten in der arabischen Welt forscht, bezeichnet Schröters Arbeiten als »solide Populärwissenschaft«, aber irrelevant, zumindest für seine eigenen Forschungen zum Islamismus.

 

Johanna Pink, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Freiburg, die ebenfalls zum »globalen Islam« in Indonesien arbeitet, sagt, aus einer islamwissenschaftlichen Perspektive seien ihr »Schröters Arbeiten nie als relevant erschienen.« Wie dies aus ethnologischer Sicht einzuordnen ist, könne sie nicht einschätzen. Schließlich habe die historisch ausgerichtete Islamwissenschaft kein Monopol auf Islam-Themen. Deutlicher wird Reinhard Schulze, emeritierter Professor der Universität Bern: »Schröters Führungsposition an einem Forschungszentrum ist fachlich nicht begründbar«, gibt er zu Protokoll.

 

Roy Karadag, Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Bremen, erkennt eine Tendenz im wissenschaftlichen und medialen Wirken Schröters: »Solange sie in ihrer Forschung bei ihren ethnologischen Wurzeln blieb, waren ihre Ergebnisse solide.« Je mehr sich der wissenschaftliche Anspruch aber »ins Aktivistische verschiebt, das den Islamdiskurs mitformen will«, desto fragwürdiger wird der wissenschaftliche Wert, befindet Karadag. Und damit wohl auch jener ihres Forschungszentrums.

 

Liberale, progressive Islamauslegungen in der Defensive

 

Hinter vorgehaltener Hand werfen diverse Islamwissenschaftler dem Zentrum vor, wenn überhaupt, dann nicht ergebnisoffen zu forschen. Das FFGI betreibe »Populismus im Gewand der Wissenschaft«. Wie so oft, wenn man sich in einer kleinen, vernetzten, aber auch von starker Konkurrenz geprägten Szene wie den Islam- und Nahostwissenschaften umhört, ist die Zahl derjenigen, die mit ihren Aussagen zitiert werden wollen, klein. Das gilt auch für die Schnittmenge aus Wissenschaftlern, Fachjournalisten und Praktikern aus der Integrations- und Präventionsarbeit. Man wolle sich auf »keine Schlammschlacht einlassen«, sagt Daniel Bax, Sprecher des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, der zuvor lange Jahre für die taz über die sogenannte Islam-Debatte schrieb.

 

Anders Hanno Hauenstein, ehemaliger Kulturchef der Berliner Zeitung, eine eher laute Stimme in der medialen Diskussion zur umstrittenen Migrationskonferenz im April. Ihm zufolge verbreitet das FFPI »teils mehr, teils weniger offene islamophobe Thesen mit einem Anstrich von Wissenschaftlichkeit, um sie salonfähig zu machen. So verschieben sich die Grenzen des Sagbaren nach rechts.«

 

Gegen solche Kritik nimmt Lutz Berger, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Kiel, Schröter und ihren Betrieb in Schutz: »Sie versucht, die Vielfalt im zeitgenössischen Islam aufzuzeigen und sie aus den jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten heraus verständlich zu machen.« Das FFGI gebe, so Berger, Raum für Diskussionen, die nicht en vogue seien: »Dass der zeitgenössische konservative Islam in aller Regel ausgesprochen homophob ist, will in westlichen linken Kreisen niemand hören.« Reinhard Schulze hingegen sieht durchaus eine politische Agenda am Werk: Als das Zentrum 2014 entstand, sei die politische Debatte um Migration und Islam »um einiges nüchterner« geführt worden. Vor allem im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise habe sich das geändert: »Auch das FFGI ist in die rechte Ecke abgedriftet.«

 

Während die politische Agenda Schröters und ihrer Arbeit kontrovers beurteilt werden, scheint in der Fachwelt eher Einigkeit in der Beurteilung der wissenschaftlichen Relevanz des FFGI zu bestehen: Sie ist gering bis kaum messbar. Gleichwohl steht es Universitäten gut zu Gesicht, jenseits der Forschung einen institutionellen Rahmen für offene, interdisziplinäre Debatten zu großen gesellschaftlichen Themen anzubieten.

 

Ob das FFGI wenigstens in dieser Frage seinen Ansprüchen genügt? Gestaltung und Verlauf der Konferenz am 28. April sprechen da wohl für sich. Für Islamwissenschaftler Elsässer eine bedauerliche Lage: »Ich glaube, viele Musliminnen und Muslime interessieren sich für eine aufrichtige Debatte zu extremistischen Islamverständnissen und Islamkritik.« Liberale, progressive Islamauslegungen seien im innerislamischen Kontext häufig in der Defensive. Leider, resümiert Elsässer, tue sich die Gesellschaft schwer damit, dieses Anliegen konstruktiv aufzunehmen – »von rechter wie von linker Seite.«

 

In einer früheren Fassung hieß es in diesem Artikel, dass Susanne Schröter mit einer Arbeit in Ethnologie an der Universität Münster mit dem Titel »Krieger, Hexen, Kannibalinnen. Phantasie, Herrschaft und Geschlecht in Neuguinea« promoviert wurde. Diese Information entstammte einer Pressemitteilung der Universität Passau, wo sie 2004 an den Lehrstuhl für Südostasienkunde berufen wurde.

Von: 
Greta Matz, Fiona Köckler, Pascal Bernhard

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