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Tunesiens Kampf gegen Korruption

»Niemand wird unseren Kampf für uns kämpfen«

Interview
Achref Aoudi
Foto: Florian Guckelsberger

Junge Tunesier kämpfen gegen korrupte Eliten und gehen zu Tausenden auf die Straße. An der Spitze dieser Bewegung steht der junge Aktivist Achref Aoudi, der mittlerweile selbst zur Zielscheibe geworden ist.

zenith: Worum dreht es sich beim jüngsten von »I Watch«, der von Ihnen gegründeten Anti-Korruptions-NGO, aufgedeckten Skandal und warum ist der Fall aus Ihrer Sicht so brisant?

Aoudi: Eines schönen Morgens wachten die Tunesier auf und konnten in einem von uns veröffentlichten Audio-Mitschnitt hören, wie Nabil Karoui, Direktor des einflussreichen Senders Nessma TV, über die von mir gegründete Organisation »I Watch« spricht. Wie er plant uns nachzustellen und uns, unsere Familien und Freunde mit einer Schmutzkampagne zu überziehen. Die Datei wurde heimlich während eines Meetings im Sender aufgezeichnet und man hört, wie Karoui all die Dinge anspricht, die später genau so geschehen sind. Etwa, dass sechs seiner wichtigsten Fernsehsendungen uns als Spione im Auftrag des Auslands verunglimpfen sollen.

 

Wie hat die tunesische Öffentlichkeit auf den Mitschnitt reagiert?

Die Leute haben unserer Version der Geschichte mehr Glauben geschenkt als Karoui. Für viele Tunesier ist der Mitschnitt nur ein weiterer Beleg dafür, wie Medien hierzulande arbeiten. Mich hat trotzdem schockiert, wie hart er auf unsere Enthüllung bezüglich seiner Steuerhinterziehung reagiert hat. Wie er seine Kräfte mobilisierte, um uns zu verfolgen. Ich möchte mich also bei der Person bedanken, die uns den Audio-Mitschnitt zuspielte und so geholfen hat, uns die Augen zu öffnen.

 

Ist der Fall Nabil Karoui für Sie eher die Ausnahme oder die Regel, wenn Sie an Tunesiens politische und wirtschaftliche Elite denken?

Nein. Wenn ich die Elite meines Landes mit nur einem Wort charakterisieren müsste, wäre es »Korruption«. Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, aber die meisten sind käuflich und haben ein System entwickelt, mit dessen Hilfe sie am Ende straffrei ausgehen. Viele dieser Menschen sind einflussreiche Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, die aber auch erheblichen politischen Einfluss besitzen. Wir müssen deshalb überwachen, wie Entscheidungen hier getroffen werden und wie die Elite sich verhält.

 

Um einen Gesetzesvorschlag wird derzeit besonders heftig gerungen. Er sieht quasi eine Art Amnestie für unter Diktator Ben Ali begangene Wirtschaftsdelikte vor. Wie erleben Sie diese Debatte?

Dieses Gesetz ist die größte Gefahr für unsere junge Demokratie, würde es die korrupten Eliten doch einfach so vom Haken lassen. Noch nicht einmal eine Entschuldigung für frühere Taten wäre dann noch vorgesehen. Für mich verfehlt das Gesetz deshalb seinen angeblichen Zweck, die Aussöhnung. Verstehen Sie mich nicht falsch, es gibt ehrliche Geschäftsmänner und Politiker in Tunesien und ich will nicht verallgemeinern, aber die meisten dieser Typen würde ich nicht Elite, sondern korrupt nennen.

 

Wie wollen Sie den schwierigen Kampf gegen Korruption führen?

Für uns ist es wichtig, immer neue Methoden zu entwickeln. Am Anfang haben wir beispielsweise vor allem hinter den Kulissen gewerkelt, bis uns klar wurde, dass mehr Leute von unserer Arbeit erfahren müssen. Daraufhin haben wir uns an Journalisten orientiert und unsere eigene Plattform geschaffen. Man muss kreativ sein und immer das richtige Werkzeug zur Hand haben. Eines dieser Werkzeuge sind Soziale Medien, mit deren Hilfe wir heute viele Tunesier erreichen.

 

Würden Sie im Zweifel auch mit Teilen der Elite kooperieren, wenn es den Zielen dient?

Aber ja, wir machen das schon heute. Kürzlich haben wir die Gruppe »Parlamentarier gegen Korruption« gestartet und arbeiten dafür mit elf Abgeordneten des tunesischen Parlaments zusammen. Die helfen uns, Gesetze durchzubringen. Gleichzeitig gründen wir überall im Land lokale Ableger. Am Ende liegen wir wohl irgendwo in der Mitte zwischen einer hundertprozentigen Graswurzelbewegung und einer organisierten, politischen Kraft.

 

»I Watch« gibt es seit der Yasmin-Revolution 2011. Wie hat sich die politische Landschaft in Tunesien seither verändert?

Der Kampf gegen Korruption kam lange nicht recht voran. Zu oft gibt es Straffreiheit und  noch heute verliert Tunesien Punkte in Transparency Internationals Korruptionsindex. Doch seit einigen Monaten ändert sich die Situation und die Dinge werden endlich beim Namen genannt. Viele Tunesier haben begriffen, dass Korruption die größte Bedrohung für unsere Demokratie ist. Als wir neulich Proteste gegen das angesprochene Gesetzesvorhaben organisierten, riefen alle Demonstranten gleichzeitig »Nieder mit der Korruption!« Eine derartige Einheit und Harmonie über das gesamte politische Spektrum zu erleben, hat mir gezeigt, dass wir nach sechs Jahren endlich zum Kern der Sache vorgedrungen sind. Der Kampf gegen Korruption ist endgültig mehrheitsfähig geworden.

 

Sie fordern mächtige Leute heraus, die viel zu verlieren haben. Fürchten Sie die möglichen Konsequenzen Ihres Aktivismus’?

Nein. Seit Monaten versuchen sie, uns einzuschüchtern. Aber Ihre Drohungen und Schmierkampagnen haben uns lediglich zusammengeschweißt und stärker gemacht. Ihr Widerstand hat uns zu einem Team geformt und uns Glaubwürdikeit verliehen. Unsere Gegner haben uns die denkbar beste Werbekampagne geschenkt.

 

»I Watch« ist der nationale Ableger der NGO Transparency International. Im Zuge des aktuellen Skandals gab es deshalb auch viel internationale Unterstützung. Wie wichtig ist diese Aufmerksamkeit?

Sehr wichtig. Wir haben so von den Erfahrungen in anderen Ländern profitiert und hunderte Augen sehr natürlich mehr als einige wenige. Aber es bleibt unser Kampf, das ist eine interne Angelegenheit. Natürlich, man lernt von anderen, lässt sich inspirieren und inspiriert. Aber am Ende gilt: Niemand wird unseren Kampf für uns kämpfen, wenn wir es nicht selbst tun.

 

Was stimmt Sie hoffnungsvoll?

Die folgende Generation. Es ist schon seltsam, ich bin ja selber erst 30 Jahre jung, doch gleichzeitig fühle ich mich schon alt. Bei der letzten Demonstration liefen links und rechts von mir tunesische Teenager und machten mir Mut. Ich halte meine eigene Generation für traumatisiert. Wir haben für eine Revolution gekämpft und dieser Kampf hat uns traumatisiert. Zensur haben wir noch selbst erlebt, nicht aber die junge Generation. Sie haben jetzt Freiheiten, können Webseite besuchen und  Nachrichten lesen, die sie interessieren. Das kann ihnen niemand mehr nehmen. Das ist für diese Menschen zur Selbstverständlichkeit geworden.

Von: 
Florian Guckelsberger

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