Der Krieg im Sudan verschont auch nicht das reichhaltige Kulturerbe. Doch das Land hat erst vor wenigen Jahren unter Beweis gestellt, wie Kunst und Kultur sich neu aufstellen können – und wie wichtig die Auseinandersetzung mit Geschichte für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist.
Der Internationale Museumsrat schlug bereits Ende April Alarm: Drei der bedeutendsten Kultureinrichtungen Sudans drohen Plünderung und Zerstörung. Die seit vier Monaten andauernden Kämpfe in der sudanesischen Hauptstadt Khartum lassen nicht nur die Zivilbevölkerung, sondern auch das Kulturerbe des Landes zwischen die Fronten geraten.
Neben dem Nationalmuseum, dem Ethnographischen Museum und dem Museum im Republikpalast liegen auch die wichtigsten Kunstgalerien Khartums in Schussweite der Sudanesischen Armee (SAF) unter Führung von Abdulfattah Al-Burhan sowie den paramilitärischen »Rapid Support Forces« (RSF) von Muhammad Hamdan Dagalo (Hemedti).
Seit Ausbruch der Kämpfe Mitte April verließen Tausende Menschen fluchtartig Khartum. Deshalb blieben Kunstwerke und Gemälde in den Galerien zurück und die Galerien als auch die Museen sind in der Folge dem Vandalismus schutzlos ausgeliefert. Die sonst für den Schutz der Artefakte zuständigen Sicherheitskräfte sind auch nicht mehr vor Ort.
»Wir müssen vom Schlimmsten ausgehen«, sagt Julia Budka. Die Ägyptologin von der Ludwig-Maximilian-Universität in München bringt damit auch die Hilflosigkeit in der Fachwelt zum Ausdruck. Denn eine Bestandsaufnahme oder gar Sicherstellung von Exponaten ist angesichts des Kriegszustands weiterhin schlicht nicht möglich. Satellitenbilder zeigen Brandschaden, teilweise auch eingestürzte Fassaden und Dächer. Eine Delegation der Weltkulturerbe-Organisation etwa wartet seit Juli auf eine Einreisegenehmigung. Unklar bleibt auch, inwiefern die Kriegsparteien in den Antikenhandel involviert sind und in welchem Ausmaß Artefakte aus sudanesischen Museen und Ausgrabungsstätten auf dem Schwarzmarkt gelandet sind.
Neben den UNESCO-Weltkulturerbestätten Napata, im 15. Jahrhundert vor Christus von Thutmosis III. gegründet, und den Pyramiden von Meroe, der Hauptstadt des Reichs von Kusch etwa ein Jahrtausend später beherbergt der Sudan Artefakte, die von der Altsteinzeit bis hin zu den christlichen nubischen Reichen des Mittelalters reichen.
»Wir reden hier nicht bloß von lokalem, sondern Weltkulturerbe«, findet Julia Budka. »Für Altertumsforscher ist der Sudan ein Traum.« Doch auch für die Gegenwart des Landes spielt das historische Erbe eine fundamentale Rolle. Der Sudan mit seinen über 500 verschiedenen Ethnien und der Überschneidung arabischer und subsaharischer Kulturräumer, Islam und Christentum, schaffen eine einzigartige Diversität – aber bergen auch immer wieder Konfliktstoff.
Die Abspaltung des Südsudans 2011 hat gezeigt, wie brisant diese Frage ist, ebenso wie der Genozid in Darfur 2005. Identität und eigene Geschichte müssen aufarbeitet werden, damit ein so diverses Land wie der Sudan zusammenfinden kann. Wie schwierig das sein kann, sieht man auch immer wieder an den regionalen und ethnischen Konflikten im Nachbarland Äthiopien.
Doch die Auseinandersetzung mit Identität und Kulturerbe kann auch in kreative Bahnen gelenkt werden. In den Monaten nach dem Sturz von Omar Al-Baschir entstand eine florierende Kunstszene im Sudan, besonders in der Hauptstadt. Allein im Stadtteil »Khartum 2« sind in einem kleinen Umkreis damals gleich sechs Galerien entstanden. Auch die Straßen selbst waren Teil dieser neuen Szene: Schauplatz des Umbruchs und gleichzeitig Leinwand für dessen künstlerische Dokumentation und Aufarbeitung. Auch heute sind die Straßen Zeuge der Entwicklungen. Die zahlreichen Murals, die die Hoffnung einer ganzen Generation Ausdruck verliehen, sind indes der Zerstörung im Stadtzentrum anheimgefallen.
So wie sich die Kunstszene im Sudan 2019 wandelte, wird sie sich auch durch und nach dem Krieg neu erfinden. Auch wenn viele Künstlerinnen und Künstler, wie die meisten Menschen in der Hauptstadt, derzeit kaum die eigenen vier Wände verlassen können, sehen sie sich in der Verantwortung. »Um eine bessere Zukunft zu gestalten, dürfen die Gewalt und Unterdrückung nicht vergessen werden«, findet etwa Rahiem Shadad. Die »Downtown Gallery«, die der 28-Jährige 2019 gründete, verschreibt sich der künstlerischen Aufarbeitung von Gegenwart und Geschichte im Sudan.
»Die Krise lässt die Menschen näherzusammenrücken«, findet Fotokünstlerin Eythar Gubara. »Der Wille für Veränderung und ein demokratisches System ist größer als die Angst und Unterdrückung durch die rivalisierenden Kriegsparteien.« Dieser Optimismus fußt auch auf die identitätsstiftenden Momente im Frühjahr 2019. Nicht zufällig schufen die Bezüge auf das bis in die Antike zurückreichende Kulturerbe die wohl ikonischsten Momente der sudanesischen Protestbewegung. Denn viele der demonstrierenden Frauen inszenierten sich als »Kandaken«, ursprünglich der Beiname der nubischen Königinnen.