Beide Bürgerkriegsparteien im Sudan sehen den Kampf um Al-Faschir als entscheidenden Wendepunkt – und profitieren dabei auch von neuen und alten Bündnissen.
Es war ein bemerkenswerter verbaler Schlagabtausch, der sich am 18. Juni bei den Vereinten Nationen abspielte. So offen wie nie zuvor ging der sudanesische Gesandte während der Debatte im UN-Sicherheitsrat seinen emiratischen Kollegen an. »Die VAE müssen dem Sudan fernbleiben – das ist die erste Voraussetzung für die Stabilität. Sie muss ihre Unterstützung für die RSF einstellen«, forderte Al-Harith Idris, der in New York die Regierung der Sudanesischen Armee (SAF) unter General Abdul-Fattah Al-Burhan vertritt, und beförderte damit ein offenes Geheimnis auf das diplomatische Parkett: Denn bislang streitet der Golfstaat offiziell kategorisch ab, die »Rapid Support Forces« (RSF) von Muhammad »Hemedti« Dagalo im sudanesischen Bürgerkrieg zu unterstützen. »Wir haben die Beweise für Sie zusammengetragen«, legte Idris nach und rief das höchste Gremium der Vereinten Nationen auf, einen Schritt weiter zu gehen und die VAE für ihre Verstrickung im Sudan zu verurteilen.
Der emiratische Gesandte Mohamed Abushahab wies die Anschuldigungen als »lächerliche Behauptungen« zurück, stellte die Legitimität der sudanesischen Regierung in Frage und betonte das humanitäre Engagement der VAE im Sudan. Abushahab forderte seinen sudanesischen Kollegen auf, dass dessen Regierung sich doch an Friedensgesprächen beteiligen solle und stellte die Bereitschaft der SAF infrage, den seit über einem Jahr tobenden Krieg wirklich beenden zu wollen.
Der Wortwechsel im UN-Sicherheitsrat gibt einen Einblick in die regionalen Verstrickungen dieses Kriegs, in dem die beiden militärischen Konkurrenten um Unterstützung werben. Die Hoffnung auf einen demokratischen Übergang, die nach dem Abtritt von Omar Al-Baschir 2019 keimte, scheint dagegen so weit entfernt wie noch nie. Dass dem Krieg im Sudan dennoch in diesen Wochen wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil wird, liegt vor allem an der dramatischen Lage in Al-Faschir.
Die Hauptstadt des Bundesstaates Nord-Darfur ist von einer halben Million auf beinahe zwei Millionen Einwohner angeschwollen – und zum wichtigsten Zufluchtsort für die darfurische Zivilbevölkerung geworden. ist zu einem Brennpunkt der brutalen Kämpfe zwischen der RSF und der SAF geworden. Dazu gehören auch Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser – Teil einer breit angelegten RSF-Offensive, mit der die Kontrolle über die letzte SAF-Hochburg im Westen des Landes übernommen werden soll.
Noch sind die SAF gerade im Feld unterlegen – schließlich waren viele der Kernkompetenzen in den Jahren zuvor an die RSF ausgelagert worden
Noch sind die SAF gerade im Feld unterlegen – schließlich waren viele der Kernkompetenzen in den Jahren zuvor an die RSF ausgelagert worden. Dafür verfügen die SAF über die Lufthoheit und sind so in der Lage, Stellungen und Nachschublinien der RSF anzugreifen. Dieser Vorteil ist jedoch durch die Verfügbarkeit von Flugzeugen und Munition begrenzt und reichte bislang nicht aus, um den Nachteil am Boden auszugleichen. Um diese Schwäche zu kompensieren, haben die SAF Bündnisse mit Rebellengruppen vor Ort geschlossen und gemeinsame Truppen gebildet, um ihre Präsenz am Boden und ihre militärische Schlagkraft zu verstetigen.
Diese Widerstandsfähigkeit in Al-Faschir ist ein Faktor, der zur wiedergefunden militärischen Schlagkraft der SAF beiträgt. Ein weiterer Faktor ist die Tötung des hochrangigen RSF-Kommandeurs Ali Yaqub am 14. Juni. Zudem konnte die lokale Allianz Kriegsgerät sowie Transportmittel erbeuten – teilweise wohl bereitgestellt vom RSF-Unterstützer VAE.
Um eben solche vom sudanesischen UN-Gesandten vor dem UN-Sicherheitsrat kritisierten Verbindungen der RSF zu den VAE zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück. Die RSF wurden 2005 vom Regime unter Omar Al-Baschir gegründet, um verschiedene Rebellengruppen in Darfur zu bekämpfen und die sudanesische Armee zu unterstützen, der sie offiziell aber nie angehörten. Sie gingen zu großen Teilen aus den sogenannten Dschandschawid hervor – jenen berittenen Milizen, denen der Genozid in Darfur vor 20 Jahren Last gelegt wird. Die SAF bildeten die RSF aus und rüsteten sie mit Waffen und Fahrzeugen aus, um Loyalität und Unterordnung unter das Kommando der SAF sicherzustellen. In der Folge behielten die RSF wie vorgesehen Oberhand im Kampf gegen die Rebellengruppen in Darfur und beteiligten sich auch an verschiedenen anderen Konflikten in der Region.
Nach der Unabhängigkeit des Südsudan im Jahr 2011 stürzte das Land aufgrund des Verlusts erheblicher Öl- und Stromressourcen in einer Wirtschaftskrise. Khartum nutzte die Gelegenheit, um im Gegenzug für wirtschaftliche Hilfe RSF-Einheiten zur Unterstützung der von Saudi-Arabien und den VAE geführten Koalition in den Jemen zu entsenden. Allmählich verlagerte sich die Unterstützung der VAE so auf die RSF. Die emiratische Unterstützung soll in erster Linie Abu Dhabis wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen am Horn von Afrika Vorschub leisten. In wirtschaftlicher Hinsicht sind die VAE daran interessiert, sich den Zugang zu den enormen natürlichen Ressourcen des Sudan, insbesondere Gold, zu sichern. Aus strategischer Sicht geht es den VAE darum, Einfluss in einem Land zu gewinnen, das an mehrere wichtige regionale Akteure wie Ägypten, Äthiopien, Südsudan, Tschad und Libyen grenzt. Eine Stärkung der RSF ist aus diesem Kalkül heraus diesem Ziel dienlich und bietet den VAE möglicherweise einen verlässlicheren Partner als die notorisch unbeständigen SAF.
Die erneute Annäherung beider Länder findet durch das Projekt eines russischen Marinestützpunktes am Roten Meer Ausdruck
Die SAF beziehungsweise der »Souveräne Rat«, der seit Burhans Putsch 2021 de facto eine Militärjunta ist, bemühen sich unterdes darum, die Unterstützung aus bewährten Netzwerken zu reaktivieren. Sudan und Russland etwa verbindet eine lange Geschichte enger militärischer Zusammenarbeit, die bis in die Zeit des Kalten Krieges zurückreicht. Damals entwickelte sich die Sowjetunion zu einem wichtigen Lieferanten von militärischer Ausrüstung und Ausbildung für die SAF. Diese Partnerschaft wurde auch unter dem Baschir-Regime fortgesetzt, das enge Beziehungen zu Moskau unterhielt. Diese historische Verbindung bildet die Grundlage für die aktuellen Beziehungen zwischen der SAF und Russland und prägt die Dynamik ihrer militärischen Zusammenarbeit im Sudan-Konflikt.
Die russische Unterstützung war für die SAF entscheidend, um deren Schlagkraft aufrechtzuerhalten und den Vormarsch der RSF abzuwehren. Die Beweggründe Russlands für die Unterstützung der SAF sind vielschichtig. Geopolitisch gesehen entsprechen stärkere SAF dem Ziel Russlands, seinen Einfluss in Afrika mit dem Sudan am Roten Meer ein wertvolles Standbein auszuweiten. In wirtschaftlicher Hinsicht ist Russland – so wie auch die VAE – den Zugang zu natürlichen Ressourcen zu sichern. Zudem soll die Unterstützung der SAF den Weg für künftige Geschäfte und Investitionen ebnen.
Die erneute Annäherung beider Länder findet durch das Projekt eines russischen Marinestützpunktes am Roten Meer Ausdruck. Anfang Juni stattete mit Malik Agar der stellvertretende Vorsitzende des »Souveränen Rats« Moskau einen Besuch ab. Berichten zufolge hat sich Russland verpflichtet, der SAF im Gegenzug »uneingeschränkte qualitative Militärhilfe« zu leisten. Ein mögliches Abkommen zwischen dem Sudan und Russland dürfte bei den westlichen Mächten, die dem wachsenden Einfluss Russlands in Afrika wenig entgegenzusetzen haben, mit Besorgnis wahrgenommen werden. In Anbetracht der mangelnden Fortschritte bei den Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts könnte die russische Waffenhilfe zudem erhebliche Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis im Sudan haben.