Die »Kalaschnikow der Lüfte« verändert das Kriegsgeschehen. Davon profitieren auch die Huthis und andere vermeintlich Schwächere.
Nach dem jüngsten Stand der Erkenntnisse wurden »Drohnen« gegen die Anlagen der staatlichen saudischen Ölfirma Aramco eingesetzt. Es scheint, dass derartige Waffensysteme nicht mehr nur das bevorzugte Angriffsmittel der Staaten der sogenannten Ersten Welt sind. Auch andere Institutionen, seien es nun Regime, aufständische Bewegungen oder gar Terroristen, bedienen sich ihrer.
Aus den Konfliktherden im Irak, Syrien, dem Jemen und der Levante (sprich Israel gegen seine Vielzahl an Feinden) dringen seit Jahren ständig Berichte von »Drohnenangriffen« an die Öffentlichkeit – vom Einsatz improvisierter, bewaffneten Mini-Drohnen bis zu unbemannten Systemen in der Größe eines Kleinflugzeuges. Die Terrororganisation »IS« warf erfolgreich kleine Sprengsätze aus handelsüblichen Drohnen ab, oder ließ sie im Kamikaze-Stil gleich in Ziele stürzen. Beim Kampf um Mosul im Jahr 2016 waren die irakischen Sicherheitskräfte tagtäglich mit dutzenden Drohnenangriffen konfrontiert.
In Syrien nahmen ab Januar 2018 gar wiederholt ganze Drohnenschwärme den russischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimin bei Latakia ins Visier. Und das mit Erfolg: Mehrere russische Kampflugzeuge wurden schwer beschädigt oder gar zerstört. Der Urheber dieser, über eine weite Distanz geführten Angriffe bleibt noch immer im Dunkeln. Fakt ist, dass die russische Luftwaffe entscheidend zu den Erfolgen der syrischen Streitkräfte beiträgt, also eine Störung der Einsatzmöglichkeiten im Interesse zahlreicher Mächte liegt.
Auf höchstem Niveau stellt sich jedoch der Einsatz von Drohnensystemen in jenen Konfliktregionen dar, wo sich Interessen des Iran ergeben. Und dies trifft vor allem Israel und die Arabische Halbinsel. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit gelang es Iran über die letzten Jahrzehnte, eine ganze Familie von unbemannten Systemen zu entwickeln. Drohnen unterschiedlicher Klassen auf der einen und Marschflugkörper unterschiedlicher Leistungsparameter auf der anderen Seite. Es war nur eine logische Folge, dass Teheran diese Ausrüstung Gruppierungen zur Verfügung stellt, die dieselben Interessen verfolgen oder gar von Iran gesteuert werden.
Im Jahr 2012 wurde bekannt, dass eine Drohne vom (iranischen) Typ »Sahed-129« von der Hizbullah in den israelischen Luftraum gesteuert wurde. Dort wurde sie prompt von der israelischen Luftwaffe abgeschossen. Die israelischen Streitkräfte waren bereits ab Beginn der 2010er Jahre (etwa 2014 im Rahmen der Operation »Protective Edge«) zunehmend mit dem Einsatz gegnerischer Mini-Drohnen konfrontiert. Hizbullah und Hamas hatten aufmerksam die Entwicklungen in anderen Konfliktregionen studiert und begonnen, mit und ohne Unterstützung Dritter, ihre eigenen Systeme zu entwickeln und einzusetzen. Kostengünstig und effektiv.
Den Huthis gelingen viele spektakuläre Erfolge
Eine bemerkenswerte Qualitätsteigerung brachte jedoch das Jahr 2018 mit sich. Hier gelang es im Februar einer Drohne vom (iranischen) Typ »Saegheh«, aus Syrien in den israelischen Luftraum zu fliegen. Auch hier erfolgte ein rascher Abschuss, in Folge eines Angriffs auf die Bodenkontrollstation wurde jedoch ein israelischer Kampfjet vom Typ F-16 abgeschossen – ein Wendepunkt.
Pikanterweise wies die abgeschossene Saegheh eine frappierende Ähnlichkeit zur amerikanischen Drohne vom Typ RQ-170 »Sentinel« auf. Ein Exemplar dieses Typs war im Dezember 2011 im iranischen Luftraum verloren gegangen. Der Verlust der Drohne war zunächst von US-Seite dementiert worden, bis US-Präsident Barack Obama die Rückgabe des amerikanischen »Eigentums« von den Iranern forderte. Es scheint, als hätten die iranischen Ingenieure die Vorlage erfolgreich reproduziert: Die amerikanische Drohne wurde wohl demontiert, kopiert und zusammengebaut – »Reverse Engineering« nennen Fachleute diese Art des unfreiwilligen Technologietransfers.
Doch der Vorfall in Israel hielt noch eine andere böse Überraschung bereit: Die Saegheh-Drohne war offensichtlich mit Sprengstoff beladen. Somit wäre der Gegner in der Lage gewesen, gezielt ein beliebiges Objekt auf israelischem Boden anzugreifen. Entsprechend öffentlichkeitswirksam wurden –¬ unter anderem auf der Münchner Sicherheitskonferenz – vom israelischen Premier Benjamin Netanyahu die Überreste der Drohne präsentiert.
Der Krieg im Jemen bietet ebenfalls ein Experimentierfeld für die Technologie von unbemannten Systemen. Trotz Lieferung und Einsatz westlicher Präzisionswaffen und auch bewaffneter Drohnen konnten die arabischen Koalitionsstreitkräfte auch nach vier Jahren keine militärische Entscheidung herbeiführen. Stattdessen gelingen den Huthis immer spektakulärere Erfolge – auch der Angriff auf die die saudischen Erdölanlagen reiht sich in diese Kette ein.
Im Jahr 2017 setzten die Huthis erstmals Drohnen vom Typ »Qasef-1« ein. Der Flugkörper ist dem iranischen Modell »Ababil-2« nachempfunden, verfügt über eine Reichweite von 150 Kilometern und kann mit Sprengstoff beladen werden. In der Folge reklamierten die Huthis mehrere Angriffe auf Ziele in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten für sich. Sie richteten sich gegen kritische Infrastruktur: Flughäfen (u.a. in Dubai) und Erdölanlagen (Pipelines und Förderanlagen in Saudi-Arabien). Zum Teil sollen diese Angriffe über mehrere hundert Kilometer geflogen worden sein.
Im Juli 2019 präsentierten die Huthis erneut ihr »selbst entwickeltes« Waffenarsenal. So hatte die Öffentlichkeit die Möglichkeit, einen Blick auf die bereits eingesetzten Mini-Drohnensysteme zu werfen. Doch diesmal standen auch neue Waffen im Rampenlicht. Nicht nur Drohnen (darunter das neue System UAV-X mit bis zu 1.500 Kilometern Reichweite) und Raketen, sondern auch Marschflugkörper. Das System »Quds« etwa soll eine Reichweite von mehreren hundert Kilometern haben und ähnelt bei genauerer Betrachtung eindeutig dem iranischen Marschflugkörper »Soumar«.
Eine Drohne steuert man bis zum Ziel – Marschflugkörper lassen sich vorprogrammieren
Irans Streitkräfte hatten »Soumar« sowie seine Weiterentwicklung »Hoveyzeh« Anfang des Jahres aufgefahren – und in Israel die Alarmglocken in Israel klingeln lassen. Denn mit den herkömmlichen Abwehrsystemen ist es äußerst schwierig, derartige Marschflugkörper abzuwehren. Im Gegensatz zur eher langsam fliegenden Drohne, die sich steuern lässt, erlaubt ein Marschflugkörper eine Vorprogrammierung und Annäherung im Konturflug mit hoher Geschwindigkeit zum Ziel. Die iranischen Streitkräfte hatten offensichtlich einen weiteren Technologiesprung zustande gebracht. Der Umstand, dass im Jahr 2005 mehrere ehemalige sowjetische Marschflugkörper vom Typ Kh-55 aus der Ukraine ihren Weg nach Iran gefunden hatten, dürfte die Entwicklung wohl beträchtlich beschleunigt haben.
Die saudischen Streitkräften präsentierten nach dem Angriff auf Aramco Trümmer von abgestürzten eingedrungenen Flugobjekten in der saudischen Wüste. Diese Bilder, so sie echt sind, lassen sehr schnell erkennen, dass es sich offensichtlich exakt um jene Marschflugkörper vom Typ »Quds« handelt – also des Typ, wie ihn die Huthis vor wenigen Monaten präsentiert hatten. Das sagt aber nichts darüber aus, ob die gezeigten Trümmerteile tatsächlich mit dem jüngsten Angriff in Verbindung stehen. Außerdem: Ein Waffensystem zu präsentieren, heißt nicht, es auch entwickelt zu haben.
Wie auch beim Drohnensystem »Qasef« stammen die »Quds-Flugkörper« mit ziemlicher Sicherheit aus Iran. Waren es also tatsächlich die Huthis, die diesen Angriff (mit iranischer Unterstützung) über knapp 1.350 Kilometer aus dem Nordjemen bis zu den Angriffszielen in der saudischen Wüste durchführten? Oder erfolgte der Angriff über eine kürzere Entfernung gar aus dem Irak – durch verbündete schiitische Milizen – oder Iran selbst? In Anbetracht des offensichtlichen Erfolges der Zerstörungen in den saudischen Erdölanlagen und der Verunsicherung der Märkte steht zumindest eines fest: Unbemannte Waffensysteme sind zum Mittel der ersten Wahl in der modernen Kriegführung geworden. Auf allen Seiten.