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Schiitische Miliz Al-Haschd Al-Schabi im Irak, Aramco und Iran

Eigentlich sollen sie den »IS« bekämpfen

Analyse
Schiitische Miliz Al-Haschd al-Schaabi im Irak, Aramco und Iran
Eine Patrouille der »Saraya Al-Khurasani«, eine der Milizen, die unter dem Schirm der Haschd al-Schaabi den IS im Irak bekämpften. Foto: Sebastian Backhaus

Irakische Milizen stehen unter Druck und werden verdächtigt, am Angriff auf Aramco beteiligt zu sein. Bagdad hält das für ausgeschlossen und demonstriert Geschlossenheit.

Nach dem Angriff auf die beiden Ölanlagen der saudischen Aramco am 14. September verdächtigen einige Medien und Beobachter irakische Paramilitärs der sogenannten Volksmobilisierungseinheiten (Al-Haschd Al-Schabi, PMF). Sie hätten im Auftrag Irans gehandelt, um den Druck auf Saudi-Arabien zu erhöhen und Vergeltung für Wirtschaftskrieg, Sanktionen und militärische Operationen gegen pro-iranische Kräfte in der Region zu üben. Das Nachrichtenportal The Middle East Eye berief sich dabei auf eine angebliche irakische Geheimdienstquelle. Für die vorausgehenden Angriffe auf saudische Ölanlagen im Mai 2019 machte der ehemalige US-amerikanische Nachrichtendienstler Michael P. Pregent auf Twitter die irakische Gruppe Kata’ib Hizbullah verantwortlich, die Teil des Verbandes der PMF ist.

 

Der rhetorischen Eskalation entgegen hat der irakische Premierminister Adil Abdul Mahdi sowohl institutionelle als auch diplomatische Maßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass das fragile Machtgleichgewicht unter dem Druck kriegstreibender Kräfte auf irakischem Boden zusammenbricht. In einem Telefonat mit dem US-Außenminister Mike Pompeo betonte der Premierminister, der Irak wolle die hart erkämpfte Neutralität weiterhin bewahren. Es wäre unzulässig, dass irakisches Territorium als Raketenabschussrampe für Angriffe auf einen der benachbarten oder »befreundeten« Staaten verwendet werde. Laut Abdul Mahdi will seine Regierung, »eine positive Rolle spielen«, um zu deeskalieren und den Irak vor den Auswirkungen einer geopolitischen Krise weitestgehend abzuschirmen.

 

Iraks Premier kann es sich derzeit nicht leisten, die eigene Glaubwürdigkeit als Garant der irakischen Souveränität aufs Spiel zu setzen. In Anbetracht der wiederholt signalisierten Bereitschaft der USA und ihrer Verbündeten, mutmaßliche iranische Marionetten außerhalb Irans auch grenzübergreifend militärisch zu bestrafen, kann er sich eher nicht nachsichtig zeigen. Insbesondere die letzten Luftangriffe auf strategische Standorte und Waffendepots der irakischen Volksmobilisierungseinheiten (PMF) haben den Premierminister in eine Zwickmühle gebracht.

 

Der stellvertretende Vorsitzende des paramilitärischen Verbands der PMF, Abu Mahdi Al-Muhandis, der zugleich zum Führungszirkel einer der militärisch stärksten Gruppen - Kata’ib Hizbullah - gehört, hatte zuvor in einem öffentlichen Dokument mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht, wobei er die Amerikaner und Israelis für mutmaßliche Beteiligung an der angeblichen ausländischen Aggression geißelte. Hintergrund waren mehrere Luftangriffe auf PMF-Kämpfer im syrisch-irakischen Grenzgebiet, für die Israel verantwortlich gemacht wird. Der Nationale Sicherheitsberater und zugleich Vorsitzende der irakischen PMF-Führungskommission, Faleh Al-Fayyadh, zog die Gültigkeit der geäußerten Anschuldigungen zunächst in Zweifel. Ein führendes Mitglied des parlamentarischen Sicherheits- und Verteidigungsausschusses verwies jedoch auf vorhandene und sachkundige Quellen, denen zufolge Standorte der Paramilitärs tatsächlich von israelischen Drohnen angegriffen worden seien – angeblich mit Kenntnis der von den USA angeführten internationalen Koalition gegen den »IS«.

 

Anschließend kündigte am Samstag der Sprecher des Repräsentantenhauses, Mohammed Al-Halbousi, die Einrichtung eines Sonderausschusses an, der die von der Regierung geleiteten Maßnahmen zur Wahrung der irakischen Souveränität überwachen soll. Daraus lässt sich auch ein Gebot ableiten, alle Einheiten der nationalen Streitkräfte, also auch der PMF, vor äußeren Angriffen zu schützen.

 

Da die PMF sowohl im sogenannten »Haschd-Gesetz« von 2016 als auch in der am 1. Juli 2019 erlassenen Verordnung des Premierministers offiziell als integraler Bestandteil der irakischen Sicherheitskräfte gelten, werden zukünftige Angriffe auf PMF-Militärstützpunkte den Druck auf die Regierung erhöhen: Sie muss Geschlossenheit zeigen und zumindest nach außen eine klare, einheitliche Befehlskette demonstrieren. Die PMF werden internationalen Beobachtern aber weiterhin allen Grund zur Skepsis geben: Der paramilitärische Dachverband ist sehr fragmentiert.

 

Eine Luftwaffe für schiitische Paramilitärs?

 

In diesem Zusammenhang verdient auch die Diskussion um eigene Luftstreitkräfte für den Verband besondere Aufmerksamkeit: Am 5. September kursierte in irakischen und ausländischen Sozialen Medien ein umstrittenes Dokument mit der Unterschrift des stellvertretenden Vorsitzenden der PMF, des besagten Abu Mahdi Al-Muhandis. Darin ging es um die kuriose Forderung, dem Verband eine eigene Luftwaffe zur Verfügung zu stellen.

 

Laut dem umstrittenen Dokument sollte Salah Mahdi Hantoush die Leitung über die noch zu schaffende Institution übernehmen. Unter anderem rangiert Mahdi Hantoush auf der Sanktionsliste des Amtes für ausländische Vermögenskontrolle der USA (OFAC). Kurz nach den ersten Reaktionen veröffentlichte der schiitische Kleriker und Parteiführer Muqtada Al-Sadr auf Twitter einen kritischen Kommentar, in dem er vor der Auflösung des Rechtsstaatssystems warnte und die irakische Regierung aufforderte, strenge Maßnahmen zu ergreifen. Viele Iraker interpretierten das als eine Kritik an einer solchen Aufrüstung und Aufwertung der PMF.

 

Abu Mahdi Al-Muhandis distanzierte sich formal nicht von dem Dokument, das in den Sozialen Medien kursierte und von ihm ohne weiteres als Fälschung hätte entlarvt werden können. Eine angeblich von der PMF-Kommission autorisierte Quelle erklärte das Dokument allerdings für nicht authentisch. Laut Sabah Al-Saadi vom Parlamentsblock »Islah« hatte Sadrs breit diskutierter Tweet dazu beigetragen, den angeblichen Plan für die Einrichtung dieser parallelen Luftwaffe im Keim zu ersticken.

 

Bagdad schien nun sehr bemüht, den Eindruck einer verbesserten Koordination zwischen den irakischen Sicherheitskräften zu erwecken. Premier Abdul Mahdi stärkte in einem neuen Erlass die Befugnisse des »Irakischen Kommandos für gemeinsame Operationen«, dem die volle Kontrolle über die verschiedene an Militärmanövern beteiligte Einheiten übertragen werden solle: inklusive der kurdischen Peschmerga, der Antiterrorkräfte und der PMF. Nach Angaben einer irakischen Nachrichtenagentur sollen auch PMF-Waffen und Munitionen in Einrichtungen des Verteidigungsministeriums verlagert werden, um dort vor möglichen Bombardierungen geschützt zu werden.

 

Auch diese Episode, die den Anschlägen vom vergangenen Wochenende vorausgingen, zeigt: Unter Kontrolle sind die paramilitärischen Kräfte im Irak noch lange nicht. Aber sie stehen unter Beobachtung – und ihre Unterstützung bei Regierung und Bevölkerung wird maßgeblich davon abhängen, ob sie den Irak in internationale Konflikte hineinziehen. Oder vor diesen bewahren.

Von: 
Inna Rudolf

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