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Kurz Erklärt: Eskalation in Zentralasien

Kirgistan und Tadschikistan im Wasser-Krieg

Analyse
von Leo Wigger
Zentralasien und der IS
Foto: Leo Wigger

Nach dem Krieg um Bergkarabach im Kaukasus schlägt innerhalb eines halben Jahres wieder ein Konflikt zwischen zwei postsowjetischen Staaten in Gewalt um. In Zentralasien steht der Zugang zu Wasser und Straßen auf dem Spiel.

Was ist passiert?

Ende April brachen im Grenzgebiet zwischen Tadschikistan und Kirgistan heftige Kämpfe aus. Dabei kamen nach offiziellen Angaben mindestens 55 Menschen ums Leben. Über 33.000 Kirgisen flohen aus Angst vor den Kämpfen aus ihren Heimatorten. Auf tadschikischer Seite wurden 16.000 Menschen evakuiert. Die Angaben beider Regierungen sind jedoch mit Vorsicht zu betrachten.

 

Die Kämpfe fanden in den kirgisischen Bezirken Batken und Leilek im äußersten Süden des Fergana-Tals statt. Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 standen sich in Zentralasien reguläre Armeen zweier Staaten in Kampfhandlungen gegenüber. Nach Ansicht von Experten begannen tadschikische Einheiten mit den Kampfhandlungen, denen Provokationen von kirgisischer Seite vorausgegangen waren. Auslöser war ein Streit um die Nutzung der sowjetischen Wasserverteilungsanlage Golovnoi.

 

Neben regulärem Soldaten kamen auch bewaffnete Zivilisten zum Einsatz. Teils mit Stöcken bewaffnete Mobs zerstörten in Grenzdörfern wie dem kirgisischen Arka Geschäfte und brannten Häuser nieder. Besonders umkämpft war das kirgisische Dorf Ak-Sai an der Straße zur tadschikischen Exklave Vorukh mit rund 30.000 Einwohnern, welche vollständig von kirgisischem Gebiet umschlossen ist. Am 1. Mai schlossen beide Seiten einen vorübergehenden Waffenstillstand. Die kirgisische Regierung verordnete vom 1. bis 2. Mai Staatstrauer. Die tadschikische Regierung veröffentlichte am 3. Mai ein Bulletin und bestätigte erstmals die Grenzzwischenfälle.

 

Worum geht es eigentlich?

Seit langem schwelt in der Region ein Disput um die zunehmend knappe Ressource Wasser. Schon in der Vergangenheit kam es vereinzelt zu lokalen Konflikten, die jedoch kaum über das Werfen von Steinen zwischen Dorfbewohnern hinaus gingen.

 

Das fruchtbare Fergana-Tal ist zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan aufgeteilt. Doch die genaue Grenzziehung ist bis heute umstritten. Die Region ist ethnisch vielfältig und ließ sich damit schwerlich in das starre sowjetische Grenzziehungsschema nach Nationalitäten pressen.

 

Seit dem Ende der Sowjetunion wurden Grenzziehungen zwischen Gebieten innerhalb der Sowjetunion zu Staatsgrenzen. Seitdem existieren zahlreiche Exklaven in der Region, also Gebiete, die vollumfassend vom Territorium eines der Nachbarländer umschlossen sind. Diese Spätfolgen sowjetischer Grenzziehung, Konflikte um die begehrte Ressource Wasser die Nutzung von Straßen sowie ein starkes Bevölkerungswachstum insbesondere auf tadschikischer Seite, führten immer wieder zu ethnisch konnotierten Spannungen zwischen Usbeken, Kirgisen und Tadschiken, die durch eine zunehmende Militarisierung weiter angeheizt wurden.

 

»Mit der neuerlichen Welle der Gewalt ist eine neue Eskalationsstufe erreicht«, sagt Erica Marat. »Das haben viele Beobachter seit Jahren befürchtet. Als wahrscheinlich galt das nun eingetretene Szenario aber nicht«, gibt die Professorin von der National Defense University in Washington DC zu Bedenken. Warum also nun die Eskalation?

 

Anders als in den autokratisch regierten Nachbarländern Usbekistan und Tadschikistan etablierte sich in Kirgistan nach dem Fall der Sowjetunion eine, wenn auch instabile, parlamentarische Demokratie mit freier Presse und lebhafter Zivilgesellschaft. Seit 2020 regiert mit Sadyr Japarov ein umstrittener Populist und Nationalist das Land. Bei einer Abstimmung über eine Verfassungsreform stimmten Anfang des Jahres die Mehrheit der Kirgisen für die Einführung eines Präsidialsystems, welches Japarov mit ähnlich weitreichenden Befugnissen ausstattet wie die Präsidenten in anderen post-sowjetischen Ländern.

 

In den seit langem auf niedriger Flamme brodelnden Grenzkonflikt mit Tadschikistan zeigte Kirgistan unter Japarov wenig Kompromissbereitschaft und brüskierte die Verhandlungspartner mit hemdsärmeligen Auftritten. »Japarov und seine Regierungsmannschaft haben dabei mit ihrem nationalistischen Kurs wenig Fingerspitzengefühl für die Nuancen des Konflikts erkennen lassen«, meint Marat. Von der harschen militärischen Reaktion aus Tadschikistan sei die Japarov-Administration nun auf dem falschen Fuß erwischt worden.

 

Ganz anders dagegen die Situation in Tadschikistan. Emomali Rahmon, ein lupenreiner Autokrat, regiert das Land mit harter Hand und konnte seinen Sohn Rustam Emomali zum Nachfolger aufbauen. Das Land hat zudem die diesjährige Präsidentschaft der »Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit« inne, einer von China initiierten Organisation, der neben China, Russland, Indien und Pakistan auch die meisten zentralasiatischen Länder angehören. Die Präsidentschaft beschert Tadschikistan ungewohnte außenpolitische Geltung.

 

Zudem vertiefte Tadschikistan seine Beziehungen zu Russland, das als Nachfolgestaat der Sowjetunion weiterhin um Einfluss in Zentralasien bemüht ist. Die militärische Antwort auf die konstanten Provokationen aus Bischkek könnte Rahmon nun daheim neue Popularität bescheren und sein kultiviertes Bild als »Vater der Nation« festigen. Allerdings: Was genau die Menschen in Tadschikistan über die Zwischenfälle denken, bleibt abseits knapper offizieller Verlautbarungen weitgehend im Dunkeln. Von tadschikischer Seite der Grenze dringen kaum Informationen nach außen.

 

Wie geht es weiter?

In einem Telefonat am 30. April vereinbarten Japarov und Rahmon für die zweite Mai-Hälfte ein persönliches Treffen in Duschanbe. Zudem solle als Friedensmaßnahme ein Ältestenrat mit Mitgliedern aus beiden Ländern gegründet werden. Dass sich die Lage schnell vollends beruhigt, gilt dagegen als unwahrscheinlich – zu aufgeheizt ist die Stimmung in der Bevölkerung.

 

»Ich befürchte, dass regelmäßig wiederkehrende lokale Gewaltausbrüche der neue Normalzustand sein werden«, glaubt Marat. Die zunehmende Instabilität in der Region spiele dabei besonders der organisierten Kriminalität in die Hände. Eine wichtige Transitroute für Heroin aus Afghanistan verläuft durch das Grenzgebiet zwischen Tadschikistan und Kirgistan.

 

Eigentlich wäre eine Verständigung durchaus möglich, glaubt eine kirgisische Analystin im Gespräch mit zenith, die aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden möchte. Weder der Konflikt um Wasser, noch die Frage der Nutzungsrechte sowjetischer Infrastruktur wie Wasserverteilungsanlagen und Straßen seien per sei unlösbar. Die scheinbar ethnischen Konflikte zwischen Kirgisen und Tadschiken wären somit eigentlich Folge des fehlenden Willens zur Kompromissbereitschaft in den Hauptstädten beider Länder.

Von: 
Leo Wigger

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