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Profil: Raya Al-Hassan

Ehrenwerte Gentlemen

Portrait
Libanons Innenministerin Raya Al-Hassan

Raya Al-Hassan ist seit Januar 2019 die erste Innenministerin der arabischen Welt.

Als sich die politischen Kräfte des Libanon Ende Januar 2019 nach fast neun Monaten des Stillstands endlich auf die Bildung einer neuen Regierung verständigen konnten, war das Erstaunen groß. Nicht nur zählt das 30-köpfige libanesische Kabinett vier weibliche Mitglieder – so viele wie keine vorherige Regierung des Landes. Zudem leitet mit Raya Al-Hassan zum ersten Mal in der Geschichte des Libanon eine Frau das Innenministerium – ein seltenes Signal des Aufbruchs in einem Land, in dem sonst Familienpatriarchen den Ton in Staat und Gesellschaft angeben.

 

Al-Hassan hat einen steilen Aufstieg hingelegt. Die 1967 in Tripoli geborene Sunnitin entstammt keiner der bedeutenden Politikerdynastien, die traditionell die Geschicke des Libanon bestimmen und die Posten in Politik und Verwaltung untereinander aufteilen. Als Tochter eines Ingenieurs und einer Beamtin im Tourismusministerium durchlebte sie die Grauen des libanesischen Bürgerkrieges in Westbeirut, wo sie im Jahr 1987 an der Amerikanischen Universität ihren Bachelorabschluss machte. Nach einem Masterstudium in den Vereinigten Staaten kehrte Al-Hassan in den 1990er-Jahren in den Libanon zurück und sammelte die ersten Erfahrungen im Staatsapparat des Landes.

 

Der Durchbruch gelang ihr nach dem politischen Stühlerücken, das dem Mord an Premier Rafiq Hariri und dem Abzug der syrischen Besatzungstruppen im Jahr 2005 folgte. Raya Al-Hassan besitzt kein Parteibuch, steht aber der »Zukunft«-Bewegung von Premier Saad Hariri nahe.

 

Nachdem sie zwischen 2005 und 2009 zunächst als Beraterin im Büro des libanesischen Ministerpräsidenten die Realisierung zweier internationaler Geberkonferenzen für den Libanon mitverantwortet hatte, folgte im Jahr 2009 die Ernennung zur Finanzministerin.

 

Die Berufung an die Spitze des einflussreichen Ressorts war ein deutlicher Vertrauensbeweis für die Arbeit Al-Hassans, den die ehrgeizige Staatsdienerin in Folge zurückzuzahlen suchte. So stieß sie eine weite Reihe an politischen und wirtschaftlichen Reformen an, deren Umsetzung jedoch mit dem jähen Ende ihrer Amtszeit im Jahr 2011 im Zuge des Zusammenbruchs der (ersten) Regierung Saad Hariris überwiegend im Sand verlief.

 

Acht Jahre später sitzt Raya Al-Hassan wieder am Kabinettstisch – als erste Innenministerin in der arabischen Welt. Zur Amtsübernahme Ende Januar ordnete sie die weitflächige Entfernung von Zementblockaden vor öffentlichen Gebäuden und Politikerresidenzen an, die vielerorts im Land zu massiven Verkehrsproblemen geführt hatten. Zudem kündigte Al-Hassan an, ihr Ministerium effizienter gestalten und die Zusammenarbeit zwischen den ihr unterstellten Sicherheitsbehörden verbessern zu wollen – ein Mammutprojekt, an der bereits ihre Vorgänger gescheitert waren.

 

Und obwohl das Gros der wichtigsten Posten auch diesmal nach altbekannten Mustern vergeben wurde, weckt die Politikerin Hoffnungen auf einen Kulturwandel: Bereits kurz nach Amtsantritt brachte sie neuen Schwung in die Debatte um konfessionelle Identitäten, traditionelle Geschlechterbilder und die Einführung der Zivilehe im Libanon.

Von: 
Sebastian Gerlach

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