Im Libanon steigen die Preise für Binden und Tampons, sodass viele Frauen sie sich nicht mehr leisten können. Das entfacht eine neue Diskussion: Ist Benzin subventionswürdig, aber die Gesundheit von Frauen nicht?
Manchmal hast du deine Periode, du hast aber keine Binde dabei, und dann wirst du schmutzig. Das Gefühl ist furchtbar. Wenn du dann nach Hause kommst, hast du Binden«, sagt Line Tabet Masri. Im Libanon gebe es jedoch immer mehr Mädchen und Frauen, die sich Grundversorgungsgüter wie Binden nicht leisten können, weil die Preise dafür täglich steigen.
Sie müssen während ihrer Menstruation damit leben, dass sie ihre Blutungen nicht auffangen können. Während Masri darüber redet, stockt ihre Stimme immer wieder. Sie sucht nach Worten. »Das ist eine enorme Belastung für deine Identität als Frau. Du kannst nicht mehr in Würde leben, weil du deine Grundbedürfnisse einfach nicht mehr bezahlen kannst. Niemand sollte sich jemals so fühlen«, findet sie.
Als die 35-Jährige während des ersten Lockdowns zu Beginn der Covid-19-Pandemie feststellt, dass viele NGOs, die monatlich Essenspakete an Familien in Not verteilen, keine Menstruationsprodukte anbieten, wird sie aktiv. Keine Menstruierende solle in die Lage geraten, ohne auskommen zu müssen, findet sie und gründet im Mai 2020 gemeinsam mit Rana Haddad »Dawrati«, zu Deutsch »meine Periode«.
Die Initiative kümmert sich nicht nur darum, dass Mädchen und Frauen Menstruationsprodukte erhalten, sie betreibt auch Aufklärungsarbeit und bekämpft Stigmata, die Menstruierende umgeben.
Wie sehr sich die Lage für menstruierende Mädchen und Frauen im Libanon verschlimmert hat, zeigt eine im März 2021 veröffentlichte Studie des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA): Immer mehr sind gezwungen, ihren Umgang mit dem monatlichen Zyklus zu ändern. Viele müssen improvisieren.
Chaza Akik, Dozentin an der Amerikanischen Universität Beirut, fand mit ihrer Kollegin Zeina Jamaluddine im Rahmen der Studie heraus, dass immer mehr Mädchen und Frauen daher auf Binden minderer Qualität, Babywindeln, Handtücher oder alte Lappen zurückgreifen, weil die weniger bis gar nichts kosten. Eine Teilnehmerin der Studie sagte, dass sie normalerweise während ihrer Menstruation dusche und Desinfektionsmittel für ihre Hände nutze. Doch auch das sei nun nicht mehr möglich.
Der fehlende Zugang zu Menstruationsprodukten und insbesondere die Ausweichlösungen bergen Gefahrenpotenzial. Sie sind nicht nur unhygienisch, sondern können auch zu gesundheitlichen Problemen wie dem Toxischen Schocksyndrom oder anderen Infektionen führen.
Dass die Frauen sich in dieser Situation befinden, liegt unter anderem an der wirtschaftlichen Lage des Libanons. Seit Beginn der Wirtschaftskrise im Jahr 2019, der Covid-19-Pandemie und der Explosion im Hafen von Beirut schnellen die Preise für fast alle Waren im Libanon in die Höhe. Der Preis für Binden stieg laut dem vom »Consultation and Research Institute« (CRI) ermittelten Verbraucherpreisindex allein zwischen September 2019 und September 2020 um 124 Prozent.
Exkurs: Libanon in der Dauerkrise
Der Libanon steckt in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Ein maroder Staatshaushalt, die Covid-19-Pandemie und die Explosion im Hafen von Beirut haben dazu geführt, dass das libanesische Pfund beständig an Wert verliert. Anfang März bekamen die Menschen für rund 9.700 libanesische Pfund noch einen US-Dollar. Kurze Zeit später lag der Wechselkurs sogar bei 1:14.000 und ist Ende März bei 1:12.000 angekommen.
Das hat Folgen. Da der Libanon fast alle Produkte importieren muss und diese Importe häufig in Dollar gezahlt werden, steigen die Preise. Für die Bevölkerung wird es immer schwieriger, sich zu versorgen. Laut offiziellen Statistiken lebt bereits die Hälfte der Menschen unterhalb der Armutsgrenze.
Doch Expertinnen und Experten wie Lea Bou Khater bezweifeln die Aussagekraft der verfügbaren Statistiken. So basieren die Zahlen zur Armut auf der letzten offiziellen Umfrage aus dem Jahr 2011/12, die selbst lediglich auf Schätzungen beruht. Viele Libanesen und Libanesinnen glauben daher, dass die Armutsrate deutlich höher liegt.
Doch es liegt nicht nur an den aktuellen Ereignissen, dass das Land und seine Bewohner wirtschaftlich am Abgrund stehen. Jahrelang wirtschaftete die politische Elite in die eigene Tasche. Korruption und Machtkämpfe in der politischen Führung des Landes haben ebenfalls wesentlich dazu beigetragen.
Die Folgen spüren aber diejenigen, die keinen Reichtum angehäuft oder Geld im Ausland gesichert haben.
Khater fordert daher drastische Reformen in allen Bereichen. So bedürfen nicht nur das politische und das wirtschaftliche System einer Änderung, es sei auch dringend notwendig, dass Geld in den Sozialversicherungsfonds des Landes gesteckt werde, der den Schutz bei Krankheits-, Mutterschafts- und Arbeitsunfällen, Familienbeihilfen und Dienstentschädigungen für die libanesische Erwerbsbevölkerung abdeckt. Darüber hinaus müsse die Gesundheitsversorgung für alle Einwohner sichergestellt werden. Erst dann könne die Bevölkerung gleichberechtigt leben.
»Bis vor einem Monat habe ich 10.000 libanesische Pfund für ein Menstruationskit bezahlt. Und das ist schon der Preis für Einkäufer. Letzte Woche kostete es mich schon 15.000. Als ich am Montag eine neue Bestellung aufgeben wollte, sagte mir der Händler, dass er keine Aufträge mehr annehme und neue Preise kalkuliere«, erzählt Masri. Letztendlich kostete sie das gleiche Paket 16.000 libanesische Pfund.
Lea Bou Khater arbeitet am CRI, ist Lektorin an der Libanesisch-Amerikanischen Universität und kennt die Gründe für die Preissteigerungen. Die Spezialistin für Entwicklungsforschung kritisiert, welche Produkte subventioniert werden. So seien nicht nur einige Dinge des alltäglichen Bedarfs wie Gas, Öl, Milch und Weizen in diesem Produktkorb enthalten, sondern beispielsweise auch Cranberrys oder Nüsse.
»Es ist ein Skandal, dass Binden nicht zu den subventionierten Produkten gehören«
»Es ist ein Skandal, dass Binden nicht zu den subventionierten Produkten gehören«, kritisiert Khater. So hätten nicht Bedürftige, sondern die Industrie und große Produzenten profitiert. »Das zeigt, wie patriarchal geprägt unsere Gesellschaft ist. Es war den Ministern, die entscheiden, einfach nicht wichtig.«
Khater fordert daher grundlegende Lösungen. Das bestehende politische und wirtschaftliche System führe seit seiner Entstehung zu Ungleichheit und Armut. »Wenn wir eine Veränderung wollen, dann müssen wir uns politisch und arbeitsrechtlich organisieren. Und das auf aggressive Art. Wir müssen ein neues Gesellschaftsbild entwickeln.«
Warum das notwendig ist, zeigt die Arbeit von »Dawrati«. Anfangs haben Masri und Haddad ihre Menstruationskits an Mädchen und Frauen aus Haushalten mit sehr niedrigem Einkommen verteilt. Doch das hat sich geändert. »Jetzt kommen Frauen aus der Mittelschicht zu uns, die einen Job haben. Sogar Bänkerinnen. Aber aufgrund der Inflation reicht auch deren Gehalt nicht aus«, sagt Masri.
Viele Frauen suchen daher bei NGOs Hilfe. Sie versuchen, so viel wie möglich kostenlos zu bekommen. Denn Binden und Tampons sind zum Luxusprodukt geworden. Mädchen und Frauen stecken in der Periodenarmut.
Immer wieder schreiben Frauen den Instagram-Account von »Dawrati« an und bitten um Hilfe. Masri und Haddad fragen nach Adresse, Telefonnummer und danach, wie viele Frauen betroffen sind. Dann schauen sie, ob sie noch genügend Vorrat haben oder ob sie Nachschub bestellen müssen. Im Anschluss verpacken sie die Menstruationskits. In eine weiße Tüte kommen dann Binden und Slipeinlagen, seltener auch Feuchttücher. Am Ende verschließen sie diese mit einem roten, runden Aufkleber.
Manchmal verteilen sie die Produkte selbst an die Frauen. Meist geben sie die Pakete an Partnerorganisationen weiter, die die Verteilung übernehmen. Seit der Gründung hat »Dawrati« in Zusammenarbeit mit NGOs wie »Beit El Baraka« allein bis Januar mehr als 5.000 Frauen im ganzen Land unterstützt. Bei einer Kampagne verteilten sie rund zwei Millionen Binden. Möglich ist das nur, weil sie Spenden erhalten. Doch auch die gehen zurück.
Periodenarmut bedeutet nicht, dass es nur um die Kosten und den Zugang zu Hygieneprodukten geht. Das Thema Menstruation ist auch mit Stigmata und Tabus belegt. Mädchen und Frauen reden selten offen über die eigene Menstruation, weil sie sich schämen. Das sorgt auch dafür, dass sie teilweise keine akkuraten und vollständigen Informationen erhalten, sagen Akik und Jamaluddine.
»Ich erwarte von der Gesellschaft, dass sie über das Thema redet«
Masri findet das unerträglich. »Manche Frauen gehen erst zu einem Gynäkologen, wenn sie heiraten.« Wenn sie das sagt, klingt sie fast ungläubig. »Ich erwarte von der Gesellschaft, dass sie über das Thema redet. Frauen müssen sich sicher fühlen, darüber zu sprechen. Es geht um ihre Gesundheit.«
Masri und Haddad verteilen daher auch Menstruationskits an junge Mädchen, die das erste Mal ihre Periode bekommen. Neben den Binden und Slipeinlagen bekommen die Mädchen ein kleines Buch, das aufklären soll. Die beiden möchten Workshops anbieten, in denen Mädchen und Frauen mehr über ihren eigenen Körper lernen und über nachhaltige Möglichkeiten wie Menstruationstassen oder wiederverwendbare Binden und Slips.
Doch um in einem Umfeld, das von Stigmata und Tabus geprägt ist, über den Zyklus zu sprechen, sei zunächst ein geschützter Raum nötig, findet Masri. Nur so können Gespräche über die Periode normalisiert werden. Je mehr Aufmerksamkeit das erzeuge, desto einfacher sei es, Lösungen umzusetzen.
Diese Aufmerksamkeit erzeugen sie und ihre Mitgründerin auch, weil sie in ihren Social-Media-Kampagnen immer wieder auf das Thema aufmerksam machen. »Ich hoffe, dass wir so durch diese Krise kommen und Periodenarmut nicht länger ein Problem sein wird«, sagt Masri hoffnungsvoll. Wenn dann noch nachhaltige Lösungen für Menstruationsprodukte genutzt werden, umso besser.