Jenseits der Frage einer möglichen US-Intervention, lässt sich feststellen, dass der Bürgerkrieg in Syrien zerfasert. Während sich Dschihadisten und Kurden gegenseitig bekämpfen, steigt die Furcht vor systematischer Christenverfolgung.
Rund zwei Monate sind vergangen, seit US-Präsident Barack Obama erstmalig verkündete, über stichhaltige Beweise für einen Chemiewaffeneinsatz der syrischen Regierung zu verfügen – und dem Obersten Militärrat der Rebellen daraufhin nicht nur mehr politische Unterstützung, sondern auch militärische Ausrüstung zusicherte. Nachdem Regimetruppen zuvor mehrere Orte von den Rebellen zurückerobert hatten, schien es, als habe das »Endgame« um Syrien begonnen.
Das war ein Trugschluss. Am 11. August veröffentlichte die britische Zeitung The Independent eine Liste der Rüstungsgüter, die Großbritannien der Opposition in den Wochen zuvor zur Verfügung gestellt hatte: Funkgeräte, 20 schusssichere Westen, zehn Lastwagen – nichts, mit dem ein Krieg zu gewinnen wäre. Noch immer ringen die Aufständischen mit einem akuten Mangel an Munition und schweren Waffen, die sie benötigen, um die seit Monaten gezogenen Belagerungsringe um Armeebasen im Norden und Osten des Landes aufrecht zu erhalten.
Um den Druck auf das Regime zu erhöhen, hat die Freie Syrische Armee (FSA) erstmals eine Offensive in der Küstenprovinz Latakia ausgerufen – hier liegen die meisten alawitischen Ortschaften. Auch hilft ihnen, dass es nicht wie für Juni erwartet zu einem gemeinsamen Angriff von Armee und Hizbullah auf die von Rebellen gehaltenen Stadtteile von Aleppo kam. Dort hat sich das öffentliche Leben in den teils von der liberaleren Al-Tawheed-Miliz, teils von den Dschihadisten der Dschabhat al-Nusra und Dawla Islamiya kontrollierten Vierteln etwas normalisiert.
Der Konflikt zwischen Kurden und Islamisten im Norden hat mit dem Kampf um die Macht in Damaskus kaum mehr etwas zu tun
Zum zweiten Mal in die Brüche gegangen ist jedoch der Frieden zwischen Islamisten und den hauptsächlich im Osten um die Stadt Qamishli lebenden Kurden. Hunderte Milizionäre beider Seiten starben inzwischen an dieser abgelegenen Front – in einem Konflikt, der mit dem Kampf um die Macht in Damaskus kaum etwas zu tun hat. Als es im Januar 2013 erstmals zu Kämpfen zwischen der Nusra-Front und den kurdischen YPG-Verbänden kam, kritisierte die FSA-Führung die Eskalation noch: Die Waffen und Kämpfer würden in anderen Landesteilen dringender benötigt.
Heute akzeptiert sie stillschweigend, dass Radikale in einem antikurdischen Feldzug dringend benötigte Alliierte verprellen. Hätte die FSA sich in den Verhandlungen geschickter angestellt, die lange von Assad unterdrückte Kurdenpartei PYD hätte sich zu einem Kriegseintritt gegen die Regierung womöglich überreden lassen.
So aber bestätigt die Opposition die schlimmsten Befürchtungen eigentlich unpolitischer christlicher und schiitischer Dorfgemeinschaften im ganzen Land, die um ihr Überleben fürchten und sich darum in steigender Zahl Baath-Milizen und den »Nationalen Verteidigungskräften« anschließen. Im Land wie auch in der internationalen Presse findet gerade eine Interpretationsschlacht statt: Kommt es in Syrien zu gezielten Christenverfolgungen?
Diverse Warlords verbreiten inzwischen ähnliche Furcht wie die Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter der Regierung
Insbesondere die Entführung des populären Jesuitenpriesters Paolo Dall’Oglio (siehe zenith 2/2013) am 29. Juli in der von Rebellen kontrollierten Stadt Rakka – und seine angebliche Ermordung – trägt das Thema in die Kommentarspalten der Zeitungen. Jedoch hat genau er sich gegen eine Reduzierung des Konflikts auf religiöse Frontverläufe stets gewehrt. Wie bei so vielen Aspekten des Bürgerkrieges fällt die abschließende Beurteilung schwer.
Ja, in einer Großstadt wie Deir Ezzor ist keine einzige christliche Familie verblieben, wurden viele Kirchen durch die Kämpfe verwüstet – gleichwohl trifft man in anderen Landesteilen auch christliche Aufständische. Zwar haben sunnitische »Gotteskrieger« mehrfach Geistliche ermordet; insgesamt ist das Leid der Christen jedoch nicht größer als das der anderen Volksgruppen. Dennoch sind Krieg und Flucht insbesondere für viele kleinere christliche Gemeinden um die nahezu vollständig sunnitische Provinzhauptstadt Hasaka existenzbedrohend.
Über den Bürgerkrieg zu berichten, wird für lokale und internationale Journalisten indes immer schwieriger. War der Norden Aleppos zwei Jahre lang relativ einfach zu bereisen, erfordern die anhaltenden Entführungen von Aktivisten wie Pressevertretern enorme Sicherheitsbemühungen. Obwohl Gruppen wie Dschabhat al-Nusra nur einen kleinen Teil der Aufständischen ausmachen, gelingt es ihnen erfolgreich, ausländische Berichterstattung zu erschweren, in manchen Teilen sogar zu verhindern. Diverse Warlords verbreiten inzwischen ähnliche Furcht wie die Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter der Regierung.