Lesezeit: 7 Minuten
Zenne – Der Bauchtänzer

Ein Ehrenmord an einem Mann

Feature
von Arzu Eti

Mitte Januar kommt in der Türkei der Film »Zenne – Der Bauchtänzer« in die Kinos. Der umstrittene Film über eine wahre Geschichte von Homosexualität und Ehrenmord rührt gleich an mehreren Tabus.

Der Film »Zenne – Der Bauchtänzer« sorgte schon vor seinem Kinostart Mitte Januar für großes Aufsehen in der Türkei. Es ist die Verfilmung eines Mordes an einem Homosexuellen und basiert auf einer wahren Geschichte: Im Jahr 2008 wurde der 26-jährige Ahmet Yildiz erschossen, nachdem er sich öffentlich zu seiner sexuellen Orientierung bekannt hatte. Der Prozess gegen den mutmaßlichen Auftraggeber des Mordes, Ahmets Vater, steht noch aus.

 

Der Film geht um ein ungewöhnliches Trio: Daniel, ein deutscher Fotojournalist, Can, ein Bauchtänzer, und Ahmet aus dem Osten der Türkei. Daniel, für ein Jahr in Istanbul, kennt sich mit den gesellschaftlichen Werten und Normen der Türkei nicht sehr gut aus. Er trifft auf Can, eine schillernde Persönlichkeit, der sich stolz zu einer Homosexualität bekennt. Can ist Tänzer und tritt in den Nachtclubs Istanbuls auf. Seine Familie akzeptiert ihn, wie er ist. Ahmet, ebenfalls homosexuell, kommt aus ländlich-konservativen Familienverhältnissen und hat es dementsprechend schwer.

 

Es entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den drei Männern, deren Wege sich in Istanbul kreuzen. Gemeinsam sind sie gezwungen, sich mit der Diskriminierung, den konservativ-patriarchalen Sitten und Familienverhältnissen sowie dem repressiven Staatsapparat auseinanderzusetzen. Tragischer Höhepunkt: Der Ehrenmord an Ahmet, dessen Vater die »Schande«, einen homosexuellen Sohn zu haben, nicht ertragen will.

 

Tabuthema Homosexualität

 

Der Film, bereits jetzt breit diskutiert, rührt an einem Tabuthema. Es ist immer noch kaum möglich, in der Türkei offen über Homosexualität zu diskutieren. Nach wie vor müssen jene, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten engagieren, mit herben Anfeindungen und dem Ausstoß aus der Gesellschaft rechnen. Es existieren nur wenige Organisationen, die sich offen engagieren – die bekannteste ist wohl »Lambdaistanbul«. Sie werben mit dem Slogan »Ihr seid weder falsch noch allein«. Viele Betroffene außerhalb der westlichen Ballungszentren sind jedoch mit ihren Sorgen und Nöten allein. Von Seiten des Staates ist bisher keine Hilfe zu erwarten.

 

Dies zeigte unter anderem der Fall des Schiedsrichters Halil Ibrahim Dincdag: Nach seinem Coming-Out im Jahr 2009 entzog der türkische Fussballverband Dincdag die Lizenz – angeblich wegen mangelnder Fitness. Dincdag hatte sich in einer Sportsendung live zu seiner Homosexualität bekannt. Böse Zungen behaupteten damals, der Schiedsrichter könne wohl kaum sachliche Urteile inmitten all der Männer fällen. Nun ist die Fussball-Szene auch in Deutschland nicht für ihre Tolenranz gegenüber Homosexualität bekannt. Es bleibt ein Tabuthema.

 

In der Politik geht man hierzuland jedoch etwas sensibler mit dem Thema um, nicht so in der Türkei. Hier behauptete Familienministerin Selma Aliye Kavaf von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) noch vor nicht allzu langer Zeit, »Homosexualität sei eine Krankheit«. Zwar haben Homosexuelle in Großtädten wie Istanbul es leichter, ein normales Leben zu führen, in den ländlicheren Gebieten der Türkei ist dies jedoch fast unmöglich. Zumal es auch in Istanbul nicht gerade ungefährlich ist. Die meisten Gewaltverbrechen an Homosexuellen und Diskriminierungen bleiben unbestraft, ihre Zahl aber steigt jedes Jahr an.

 

Besonderer Erniedrigung sind homosexuelle Männer beim Militär ausgesetzt. Sie werden aufgrund »psychosexueller Störungen« ausgemustert, müssen hierzu aber ein so genanntes »rosa Attest« vorweisen. Dies wird jedoch nur dann ausgestellt, wenn der Betreffende mittels eines Fotos vorweisen kann, analen Geschlechtsverkehr zu praktizieren, wobei sein Gesicht klar erkennbar sein muss. Zusätzlich müssen sich viele einer analen Untersuchnung unterziehen. Das Attest wird dann per Post an die Heimatadresse geschickt, eine weitere Demonstration staatlicher Macht und ein weiterer Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen. Denn so wird im Endeffekt die gesamte Familie über die »Schande« informiert. Eine alternative Form, den Militärdienst zu verweigern, existiert bisher nicht.

 

Widerstand auch gegen den Film

 

Der Reiz, dieses heikle Thema in einem Film zu bearbeiten, inspirierte die Regisseure Caner Alper und Mehmet Binay zum Dreh von »Zenne – Der Bauchtänzer«. Ihr Antrag auf finanzielle Unterstützung seitens des Kulturministeriums wurde mit der Begründung abgelehnt, die Geschichte sei es nicht wert, gedreht zu werden. Dankenswerterweise erklärte sich das holländische Generalkonsulat daraufhin bereit, die Dreharbeiten zu unterstützen.

 

»Zenne – Der Bauchtänzer« wurde beim Internationalen Filmfestival in Antalya im Oktober mit fünf goldenen Orangen ausgezeichnet und war damit der Star des Abends. Auch beim ersten Queer Filmfestival der Türkei im November in Ankara kam das Werk sehr gut an. Nur das Malatya Filmfestival in Südostanatolien lehnte die Teilnahme des Films in letzter Minute mit fadenscheinigen bürokratischen Begründungen ab. Wieder einmal wurden hier scheinbare Sachgründe vorgeschoben, um eine offene Debatte zu vermeiden.

 

Obgleich der Film eine tragische Seite hat, wird die Geschichte so erzählt, dass der Kinoabend zum Genuss wird. Manchmal erscheint es fast so, als träte der Geist des wahren Ahmets im Film auf – als Schmetterling beispielsweise. Der Film erntete in Antalya satte acht Minuten Applaus, viele Zuschauer hatten Tränen in den Augen. Regiesseur Mehmet Binay bedankte sich mit den folgenden Worten: »Unabhängig von unserer Rasse, Religion, Sprache und Geschlechts sind wir alle Kinder desselben Gottes.«

Von: 
Arzu Eti

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