Saudi-Arabien will das kostspielige Fiasko des Jemen-Krieges hinter sich lassen – und dabei das Gesicht wahren. Die Huthis hingegen sehen nun ihre Stunde gekommen.
Was ist geschehen?
Im Frühjahr 2020 jährt sich der Beginn des Kriegs im Jemen zum fünften Mal. Seit Beginn des Krieges im Jahr 2015 hat keine der Konfliktparteien trotz gegenteiliger Versprechungen substantielle Schritte in Richtung eines tatsächlichen Friedens unternommen. Fünf Jahre später sind 80 Prozent des Landes nach wie vor von humanitärer Hilfe abhängig, wobei mehr Kinder an Hunger sterben als durch den Krieg. Weit verbreitete Hungersnöte, Krankheiten, Wasserknappheit und ein Mangel an Krankenhäusern und Beatmungsgeräten – der Jemen hat sich zu einer Pandemie im Rahmen einer Pandemie entwickelt.
Trotz des jüngsten Aufrufs von UN-Generalsekretär António Guterres zu einem globalen Waffenstillstand inmitten des COVID-19-Ausbruchs haben die Parteien des Jemen-Konflikts diese Chance bisher nicht genutzt. Die Anfang April von Saudi-Arabien in Aussicht gestellten Friedensgespräche sind inzwischen gescheitert.
Nach fast sechs Jahren, Tausenden von Toten und Militärausgaben im zweistelligen Milliardenbereich ist der Einflussbereich der von Saudi-Arabien angeführten Koalition im Jemen nach wie vor fast ausschließlich auf die südlichen Teile des Landes beschränkt. Je länger sich der Krieg zieht, desto weiter rückt für Saudi-Arabien das ursprüngliche Kriegsziel in die Ferne: Die Wiedereinsetzung der international anerkannten Regierung von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi und die Eingliederung der von den Huthis besetzten staatlichen Institutionen.
Die Vereinigten Arabischen Emirate, der wichtigste Koalitionspartner der Saudis, sind schließlich aus der Koalition ausgeschieden, nachdem sie diesen Schritt bereits im Februar 2019 angekündigt hatten. Obwohl die VAE keine bedeutende militärische Rolle mehr spielen, verfolgen sie weiterhin aktiv eigene Interessen im Jemen, prägen die Dynamik des Konflikts – und könnten so das vom neutralen Sultanat Oman geschaffene fragile regionale Gleichgewicht aus den Angeln heben.
Im Norden haben die Huthis ihre Macht konsolidiert, indem sie die staatlichen Strukturen reorganisiert und Stammesallianzen gefestigt haben. Fest eingebettet in die sozio-politische Landschaft des Nordjemen, behalten die Huthis die Gebiete unter ihrer Kontrolle fest im Griff. Was immer man von den Huthis halten mag, sie haben sich als Kraft erwiesen, an der kein Vorbeikommen ist und die Entwicklung im Jemen auch künftig maßgeblich mitprägen wird.
Worum geht es eigentlich?
Die COVID-19-Krise zwingt Saudi-Arabien, die Prioritäten neu zu ordnen – bietet zugleich aber auch eine Gelegenheit: Denn das Königreich sucht seit geraumer Zeit nach einem gesichtswahrendem Weg, sich aus dem Krieg im Jemen zurückzuziehen. Die Ankündigung der Waffenruhe erscheint so eher als humanitäre Geste denn als Eingeständnis der sich abzeichnenden politischen und militärischen Niederlage. Kronprinz Muhammad Bin Salman (MBS) geht es nicht zuletzt auch darum, sich von der Kostenlast des Einsatzes zu befreien, um die Ressourcen des Königreichs auf die Umsetzung der »Vision 2030« zu konzentrieren.
Die Huthis hingegen wähnen sich im strategischen Vorteil und haben ihre kriegerischen Aktivitäten intensiviert. Sie folgen dem Kalkül, militärisch Fakten zu schaffen, um die eigene Verhandlungsposition zu stärken – und endlich die formelle Anerkennung zu erreichen, die sie seit Beginn des Konflikts anstreben. Daher werden die Huthis weiterhin versuchen, die Hadi-Regierung in Kämpfe zu verwickeln, insbesondere in deren verbliebenen Hochburgen, etwa in Marib, 40 Kilometer östlich von Sanaa. Selbst angesichts einer weltweiten Pandemie werden die Huthis nicht riskieren, das Momentum zu verlieren, mit dem sie ihren Gegnern einen Frieden nach ihren Bedingungen aufzwingen können.
Doch solange die Kampfhandlungen anhalten, stehen die Bemühungen um eine Eindämmung der COVID-19-Pandemie hintenan. Der Ausbruch ist nicht nur wegen der Kriegslage besonders gefährlich für den Jemen. Obwohl die Bevölkerung relativ jung ist, leben die meisten Jemeniten eher in Mehrgenerationen- als in Kernfamilien. Sie leben in kleinen Häusern, alte und jungen Menschen kommen bei zahlreichen sozialen Aktivitäten zusammen, etwa beim Moscheebesuch, aber auch beim Qatkauen.
Aufklärungskampagnen und Initiativen zur sozialen Distanzierung sind zwar notwendig und hilfreich, erreichen aber wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung, die keinen Zugang zu einer Grundversorgung von Informationen hat. Darüber hinaus hat der Jemen in den Jahren seit Beginn des Krieges einen den schlimmsten Ausbrüche der Cholera erlebt, gefolgt von Dengue-Fieber und anderen Infektionskrankheiten. Gegenwärtig verfügt der Jemen über weniger als 50 Beatmungsgeräte für eine Bevölkerung von 25 Millionen Menschen. Es ist kaum zu erwarten, dass ein Land, in dem es den Menschen an einer medizinischen Grundversorgung mangelt, in dem jeden Tag Menschen bei einfachen Blinddarm- und Mandeleingriffen sterben, einer Epidemie erfolgreich entgegenwirken kann, an der Zehntausende in entwickelten Ländern mit hoch entwickelten Gesundheitssystemen gestorben sind.
Wie geht es weiter?
In Zukunft werden die Beziehungen zwischen Jemen und den Golfstaaten wahrscheinlich jenen zwischen Syrien und den Machzentren am Golf nach dem syrischen Bürgerkrieg ähneln. Ähnlich den Huthis standen die Golfstaaten auch dem Assad-Regime lange feindlich gegenüber, sahen sich letztlich aber gezwungen, ihm Legitimität zuzugestehen, um zu verhandeln. Wie Assad müssen auch die Huthis letztlich als legitime politische Einheit anerkannt werden, damit im Jemen Frieden herrschen kann.
Es wird wohl Jahre dauern, bis sich die Beziehungen zwischen den Golfstaaten und den verfeindeten Kriegsparteien im Jemen verbessern. Doch viele Optionen bleiben etwa Saudi-Arabien nicht. Für das Königreich ist der andauernde Krieg gegen die Huthis wirtschaftlich und militärisch nicht aufrechtzuerhalten. Zudem bombardiert die Luftwaffe der Koalition seit Jahren teilweise immer wieder dieselben Ziele, insbesondere in Sanaa, ohne nennenswerten Einfluss auf den Kriegsverlauf oder erkennbare militärische Strategie.
Sollte Saudi-Arabien zu dem Schluss kommen, dass man sich den Jemenkrieg nicht länger leisten kann, wird sich das Königreich aus dem Konflikt zurückziehen. In dem daraus resultierenden Vakuum wird der Krieg möglicherweise in eine neu Phase übergehen. Das böte die Chance für die jemenitischen Kriegsparteien, den Konflikt unter sich beizulegen – oder alte Rechnungen zu begleichen.
Raiman Al-Hamdani ist Visiting Fellow beim »European Council on Foreign Relations« und arbeitet zurzeit beim Forschungszentrum Yemen Polling Center (YPC).