Anfang Mai kursierten auf Twitter Gerüchte über einen angeblichen Putsch in Katar – maßgeblich gestreut aus dem Nachbarland. Was steckt hinter dem neuerlichen Angriff der saudischen Troll-Armee?
Was ist geschehen?
Am Montagmorgen, dem 4. Mai 2020, begannen Informationen auf Twitter zu kursieren, demnach in Katar ein Putsch im Gange wäre. Auf einem der vielgeteilten Videos soll zu hören sein, wie in der Hafenstadt Al-Wakra südlich von Doha Schüsse fallen. Schnell trendete der arabische Hashtags الوكرة# (Al-Wakra). Unter dem Hashtag انقلاب_في_قطر# (»Umsturz in Katar«) wurden innerhalb eines Tages mehr als 150.000 Mal Tweets abgesetzt.
Die Gerüchte wurden unter anderem auch von bekannten saudischen Journalisten und Influencern, sowie von einigen saudischen Medienhäusern verbreitet: Der ehemalige katarische Premierminister und einer der reichsten Männer der Welt, Hamad bin Jassim Al Thani, Mitglied der katarischen Herrscherfamilie, soll angeblich einen Putsch gegen den amtierenden Emir von Katar Tamim bin Hamad Al Thani angeführt haben. Es kursierten sogar Gerüchte, die türkische Armee würde sich Kämpfe mit katarischen Truppen liefern.
Inzwischen steht fest, dass es keinen Putsch im Emirat am Golf gegeben hat – stattdessen deutet alles auf eine Desinformationskampagne Saudi-Arabiens hin. Die Führung in Doha hielt sich mit offiziellen Äußerungen zurück – nur der katarische Botschafter in Moskau stritt die Gerüchte am nächsten Tag vehement als Falschinformationen ab. Twitter-User und Beobachter vor Ort berichten, dass in Doha und Al-Wakra weder Schüsse fielen noch Kämpfe stattfanden.
Die schnelle Verbreitung der Gerüchte über Twitter weist alle Kennzeichen einer orchestrierten Desinformationskampagne auf: Die Schüsse im bereits erwähnten Video wurden nachträglich eingefügt – das Original stammt von einem Twitter-User, der sich darüber lustig macht, dass überhaupt keine Schüsse, sondern nur Vogelgezwitscher in Al-Wakra zu hören sind. Ein anderes Video, das sogar vollkommen unkommentiert vom Nachrichtensender Al-Arabiya ausgestrahlt wurde, stammt in Wirklichkeit aus Saudi-Arabien und ist zwei Jahre alt.
Unter den aktivsten Accounts bei der Verbreitung des Videos finden sich ganze Gruppen, die mit immer gleichen Mustern und Häufigkeiten tweeten und retweeten – außerdem interagieren sie kaum mit anderen Accounts. Ein gefälschter Screenshot eines Tweets, der angeblich vom Twitter-Account von Hamad bin Jassim Al Thani stammen und den Putsch bestätigen soll, wurde ebenfalls im großen Stil verbreitet.
Worum geht es eigentlich?
Seit nun fast drei Jahren blockieren Saudi-Arabien und andere arabische Länder Katar – sie werfen dem Nachbarn Terrorfinanzierung, Destabilisierung der Region und zu enge Beziehungen zu Iran vor. Diplomatische Beziehungen sind gekappt, die Grenzen dicht, Verkehr und Handel ausgesetzt.
Tamim bin Hamad Al Thani, seit 2013 Emir, ist seinen Nachbarn schon länger ein Dorn im Auge – bereits mehrfach versuchten Saudi-Arabien und die Vereinten Arabischen Emirate, ein Umsturz-Szenario in Katar herbeizuschreiben. Dazu präsentierten sie exilierte Mitglieder der katarischen Herrscherfamilie als Alternativen – Ende August 2018 beispielsweise Abdallah Al Thani – und wollten den Anschein erwecken, die Menschen in Katar seien unzufrieden mit ihren Herrschern.
Einen Tag vor den Putsch-Gerüchten veröffentlichte die Saudi Gazette einen Artikel, in dem Mubarak Bin Khalifa Al Thani den Emir zum Rücktritt auffordert. Mubarak ist ein eher unbekanntes Mitglied der Al-Thani-Familie in Riad, das sich schon früher gegen die katarische Führung positioniert hatte.
Auch die jüngste saudische Desinformationskampagne muss als Versuch betrachtet werden, das Emirat auf Linie zu bringen. Wenn es ernsthaften Dissens innerhalb der Al-Thani-Familie geben würde, müsste Saudi-Arabien keine Falschnachrichten und Troll-Armeen einsetzen, um sein Ziel zu erreichen.
Was bedeutet das für die Region?
Saudi-Arabien betreibt schon seit längere Zeit regelmäßig aggressive Image- und Desinformationskampagnen in den Sozialen Medien. Solche Versuche, sich selbst sehr positiv, aber vor allem politische Gegner und Oppositionelle als schwach, umstritten oder gefährlich zu präsentieren, lassen sich auf zunehmenden internationalen Druck zurückführen. Jahrzehntelang verließ sich die saudische Führung auf den Öl-Durst der Welt und kümmerte sich wenig darum, was andere von Regierungsführung oder Menschenrechten in Saudi-Arabien hielten.
Doch inzwischen kann sich Saudi-Arabien nicht mehr nur auf seinen Öl-Reichtum verlassen und das Königshaus, allen voran Kronprinz Muhammad bin Salman (MBS), steht zunehmend in der Kritik. Auch der innenpolitische Druck nimmt zu: Der Jemen-Krieg hat sich als Image-Desaster und Fass ohne Boden herausgestellt, die gefallenen Ölpreise gefährden die gesamte saudische Wirtschaft sowie den Staatshaushalt und die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie schränken die Handlungsspielräume weiter ein.
Knapp eine Woche nach Beginn der Online-Offensive gegen den Nachbarn verkündete das Königreich einschneidende Sparmaßnahmen, darunter etwa eine Verdreifachung der Mehrwertsteuer und die Einstellung von Mietzuschüssen. Die Desinformationsattacke gegen Katar könnte ein Versuch sein, von den Problemen im eigenen Land abzulenken und die saudische Blockade-Politik angesichts des dritten Jahrestages der Katar-Krise am 5. Juni zu rechtfertigen.
Diese erneute Eskalation der Beziehungen zwischen Katar und Saudi-Arabien wird wohl die Annäherungsversuche des letzten halben Jahres zunichtemachen. Statt die Covid-19-Pandemie zu nutzen, um die Causa Katar gesichtswahrend hinter sich zu lassen, geht MBS erneut auf Konfrontationskurs.